Es ist eine mutige Tat: Mitten im Krieg verlangen israelische Veteranen und aktive Soldaten der Reserve einen Waffenstillstand und Austausch der Geiseln. 950 ehemalige und aktive Angehörige der Luftwaffe unterschrieben einen offenen Brief, der als ganzseitige Anzeige in mehreren Tageszeitungen erschien. Darin hieß es unter anderem, der Krieg habe kein konkretes Ziel, diene nicht den Sicherheitsinteressen Israels und werde nur aus politischen Gründen geführt.
Benjamin Netanjahu meinte dazu, der Protest käme von einer kleinen Gruppe, die laut sei, anarchistisch und von der Gesellschaft isoliert – und von ausländischen Geldgebern finanziert.
Die Führung der Luftwaffe setzte die Unterzeichner des offenen Briefes massiv unter Druck. Soweit sie der aktiven Reserve angehören, werden sie aus dem Dienst entlassen. Etwa 35 Unterzeichner gaben dem Druck nach und zogen ihre Unterschrift zurück, mehrere weitere Veteranen fügten ihre Unterschrift hinzu. Mittlerweile unterstützen auch ehemalige Soldaten und Reservisten der Eliteeinheit 8200 die Proteste.
Und mehr als 350 israelische Ärzte und Sanitäter verlangen die Untersuchung des Vorfalls, bei dem 15 palästinensische Ersthelfer und Ärzte in Gaza ermordet wurden. Die Verantwortlichen sollen zur Rechenschaft gezogen werden.
Ausgerechnet der Oberste Gerichtshof, dessen Unabhängigkeit von Netanjahu so sehr bedrängt wird, hat ein Urteil gesprochen, das das Leid in Gaza andauern lässt. Angehörige der Geiseln hatten eine Petition eingereicht, die verlangte, wenigstens die Stromversorgung für Gaza wiederherzustellen. Sie wurde abgewiesen, Netanjahu darf die Blockade von Gaza fortsetzen, die längste Blockade seit Beginn des Krieges.
Für Gaza sieht US-Präsident Donald Trump ein Verhandlungsergebnis für Waffenstillstand und Geiselaustausch in greifbarer Nähe. Doch immer noch politisiert und erschwert vor allem der Minister für Strategische Angelegenheiten Ron Dermer, der für Netanjahu die israelische Delegation leitet, die Verhandlungen.
Ein anderes Urteil erfolgte gegen das Interesse von Netanjahu. In einer chaotischen Verhandlung mit Unterbrechungen und Protesten durch Mitglieder und selbst einen Abgeordneten des Likud urteilte der Gerichtshof, dass Netanjahu den Chef des Geheimdienstes Shin Bet, Ronen Bar, vorerst nicht entlassen dürfe.
Der Streit zwischen Regierung und Justiz, der vor dem Krieg zu massiven Protesten geführt hatte, ist jetzt für viele Reservisten ein Grund, der Einberufung auszuweichen. Viele sind nach wiederholten Einberufungen auch einfach erschöpft, ihre Ausrüstung in vielen Fällen abgenutzt.
Die Expansionspolitik Israels geht dennoch weiter. Die Massaker in Gaza werden fortgesetzt, große Teile von Gaza sind besetzt, das Gebiet wird aufgeteilt, der Süden vom Norden getrennt. Und auch im Libanon sind weiterhin israelische Truppen stationiert, auch die Verhaftungen und Kämpfe auf der Westbank – die Offensive „Iron Wall“ – gehen weiter.
Und in Syrien verlangt Israel die Kontrolle über den Süden des Landes für sich, die Türkei soll auf den Bau von Stützpunkten bei Homs verzichten. Eine erste Runde von Verhandlungen zwischen der Türkei und Israel fand bereits in Aserbaidschan statt, um die Spannungen zwischen den beiden Ländern in Syrien abzubauen. Das Land wird in Einflusssphären aufgeteilt, zwischen Israel, der Türkei und den USA.
In Washington allerdings erhielt Netanjahus Expansionspolitik bei seinem Besuch vorerst eine kalte Dusche. Trump wird einen Angriff auf den Iran nicht von vornherein unterstützen, Verhandlungen mit der Islamischen Republik haben begonnen.