Streiks bei Raffinerien und Atomkraftwerken

Widerstand gegen Agenda-Politik der französischen Regierung

Von german-foreign-policy.com

Französische Gewerkschafter als Robin Hood

Im Rahmen einer Aktion gegen das Unternehmergesetz „El Khomri“ und gegen die Privatisierung des staatlichen Energieversorgers EDF haben Beschäftigte bei EDF in La Courneuve (im Osten von Paris) um 6 Uhr morgens den Strom auf Billigtarif umgeschaltet. Unterstützt haben sie die Gewerkschaft CGT 93 und die Initiative „Robin des Bois“ Energie. Diese 1985 gegründete Umweltinitiative, die zur Bodenverschmutzung einen Giftatlas Frankreichs herausgegeben hat, tritt in Frankreich verschiedentlich auch bei Stromabschaltungen in Aktion. Die „Robin-Hood-Aktion“ kam etwa 300000 Haushalten in La Courneuve und Umgebung zugute, die von dem Billigtarif in der Spitzenverbrauchszeit profitierten. Gleichzeitig blockierten etwa 60 Arbeiterinnen und Arbeiter den Zugang zu der Schaltstelle, um Kontrolleure der ERDF daran zu hindern, den Tarif auf voller Höhe zurückzustellen. GH

Seit Wochen setzt sich die Bevölkerung in Frankreich mit Protesten, Großdemonstrationen und Streiks bei Raffinerien und Atomkraftwerken sowie im öffentlichen Nah- und Fernverkehr gegen das neue Arbeitsrecht der sozialdemokratischen Regierung des Präsidenten François Hollande und seines Ministerpräsidenten Manuel Valls zur Wehr. Die französischen Gewerkschaften kündigten weitere, umfassende Streikaktionen gegen die „Arbeitsmarktreform“ an.

Frankreichs Präsident François Hollande hatte – ganz wie sein Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy – die deutsche Deregulierungs- und Austeritätsoffensive im Rahmen des Vorgehens gegen die Eurokrise zunächst mit aller Kraft zu brechen versucht. Nach seiner Niederlage im Machtkampf gegen Berlin ist er dazu übergegangen, das Modell der „Agenda 2010“ aus Deutschland zu kopieren. Die aktuelle Arbeitsmarktreform ist der jüngste Schritt auf diesem Weg, der den Kündigungsschutz aufweichen, Tarifvereinbarungen aushöhlen und damit die Stellung der Gewerkschaften empfindlich schwächen soll.

Der französische rechte Sozialdemokrat Manuel Valls und …

Der französische rechte Sozialdemokrat Manuel Valls und …

( Claude Truong-Ngoc/Wikimedia Commons)

Die deutsche Wirtschaft hatte sich mithilfe der rot-grünen Agenda-Politik erhebliche Vorteile nicht zuletzt gegenüber der französischen Konkurrenz sichern können und ihre dominierende Stellung in der EU seitdem systematisch ausgebaut. Weil alle Versuche gescheitert sind, Berlin zur Abkehr von der Deregulierungs- und Austeritätspolitik zu veranlassen, sucht Paris nun mit ihrer Nachahmung seinen weiteren ökonomischen Absturz abzuwenden.

Deregulierung in Wirtschaft und Arbeitsmarkt sowie empfindliche Kürzungen bei den Sozialausgaben ließen unter anderem die Lohnnebenkosten in Deutschland von 2000 bis 2009 um 1,3 Prozent sinken, während sie etwa in Frankreich um 17 Prozent wuchsen. Gleichzeitig gelang es, die Reallöhne in der Bundesrepublik von 2000 bis 2008 um 0,8 Prozent zu senken; in sämtlichen anderen EU-Staaten nahmen sie im selben Zeitraum zu, in Frankreich etwa um 9,6 Prozent. Damit verbilligte sich die Produktion in Deutschland gegenüber der Konkurrenz in den anderen EU-Staaten in einem Ausmaß, das es einer steigenden Zahl deutscher Unternehmen erlaubte, Firmen aus anderen Euroländern niederzukonkurrieren. Während der Anteil deutscher Exporte am gesamten Außenhandel innerhalb der Eurozone entsprechend von 25 Prozent (2000) auf gut 28 Prozent (2009) wuchs, fiel der Anteil französischer Eurozonen-Ausfuhren von 16 (2000) auf 13 (2009) Prozent.

Mit Blick auf den sozialen Preis der „Agenda 2010“ lehnt eine klare Mehrheit der Franzosen die Nachahmung der Berliner Politik durch Paris entschieden ab. Frankreich sei „das einzige große entwickelte Land“ gewesen, in dem „die Ungleichheiten der verfügbaren Haushaltseinkommen“ in der Zeit von Mitte der 1980er Jahre bis 2008 nicht zugenommen hätten, konstatierte bereits 2013 die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

Die Bereitschaft, sich energisch gegen Kürzungen zur Wehr zu setzen, ist offenkundig weiter vorhanden. Laut einer Umfrage, die vergangene Woche veröffentlicht wurde, halten 62 Prozent der Bevölkerung die aktuellen Proteste gegen die Arbeitsmarktreform für „gerechtfertigt“. 59 Prozent schreiben die Verantwortung für die aktuellen sozialen Spannungen Präsident Hollande und Ministerpräsident Manuel Valls, nicht den streikenden Gewerkschaften zu. Nicht einmal die Blockade der Raffinerien und die Ausfälle in der Treibstoffversorgung hätten die Unterstützung für die Protestbewegung schwächen können, berichten Meinungsforscher; vielmehr hätten sich 69 Prozent der Bevölkerung dafür ausgesprochen, zur Beendigung der Blockaden umgehend die Arbeitsmarktreform zurückzuziehen. Im Parlament hat die Regierung bei ihrem Bestreben, die Berliner Agenda-Politik zu kopieren, ebenfalls keine Mehrheit mehr: Die Parlamentsfraktion des Parti Socialiste (PS) ist tief gespalten; ihr linker Flügel lehnt unter dem Druck der Proteste die Deregulierungsmaßnahmen des Präsidenten ab.

… sein Vorbild, der rechte deutsche Sozialdemokrat Gerhard Schröder

… sein Vorbild, der rechte deutsche Sozialdemokrat Gerhard Schröder

( flickr.com/photos/spd-sh/3922991180/CC BY 2.0)

Entsprechend sucht die französische Regierung die Anpassung an die deutsche „Agenda 2010“ nun ohne demokratische Legitimation durchzusetzen. Am 10. Mai hat Ministerpräsident Manuel Valls auf den Notartikel 49.3 der französischen Verfassung zurückgegriffen; dieser erlaubt es, ein Gesetz auch ohne parlamentarische Zustimmung zu oktroyieren. Die Arbeitsmarktreform muss jetzt nur noch den Senat passieren. Auf den Paragraphen hatte die Regierung bereits am 17. Februar 2005 zurückgegriffen, um Deregulierungsmaßnahmen durchzusetzen; damals ging es bei einem nach Wirtschaftsminister Emmanuel Macron benannten Gesetz („Loi Macron“) unter anderem darum, Nacht- und Sonntagsarbeit auszuweiten.

Die Aushebelung demokratischer Verfahrensweisen zur Durchsetzung einer deutsch inspirierten Austeritätspolitik entwickelt sich in der von Berlin dominierten EU mittlerweile zur Norm. Um die Anpassung an deutsche Austeritätsmodelle zu erzwingen, operiert schon seit Jahren die „Troika“ aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds (IWF), die zuletzt in Griechenland empfindliche Rentenkürzungen durchgesetzt hat. In Italien regierte von November 2011 bis April 2013 ein „Expertenkabinett“ unter dem ohne Wahl ins Amt gelangten Technokraten Mario Monti, einem ehemaligen EU-Kommissar, dessen Aufgabe darin bestand, die deutschen Spardiktate in Italien umzusetzen. Die griechische Bevölkerung wurde im vergangenen Jahr für ihr klares Nein im Referendum über die Spardiktate der EU mit der Verhängung noch härterer Sparmaßnahmen bestraft. Unter dem Druck Berlins wächst nicht nur die Armut in der EU; es beginnt auch der demokratische Mantel zu bröckeln.

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"Widerstand gegen Agenda-Politik der französischen Regierung", UZ vom 3. Juni 2016



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