Angesichts des Regierungswechsels in London und der Lebenshaltungskosten-Krise sind Arbeitskämpfe für die britischen Arbeiterinnen und Arbeiter notwendiger denn je. Die erklärte Thatcher-Verehrerin und neue Premierministerin Liz Truss hat den Gewerkschaften bereits den Kampf angesagt. Doch die Entwicklung einer gewerkschaftlichen Strategie wird noch etwas auf sich warten lassen: Als Zeichen des Respekts angesichts des Todes der britischen Königin Elisabeth II. am Donnerstag vergangener Woche vertagte der britische Dachverband der Gewerkschaften TUC seinen Jahreskongress. Ein neues Datum ist bisher nicht bekanntgegeben worden. Ebenfalls auf unbestimmte Zeit verschoben wurden mehrere Streiks, darunter der Ausstand der Post, über den UZ vergangene Woche berichtet hatte.
Hinter der Verschiebung des Kongresses und der geplanten Streiks stehen relevante Bedenken: Die Aufmerksamkeit der Medien wäre noch geringer als sonst, auch die Unterstützung innerhalb der Gewerkschaft wie in der Öffentlichkeit könnte sinken. Schließlich wurden auch zahlreiche Kultur- und Sportevents angesichts der zehntägigen Staatstrauer verschoben. Doch besteht gerade bei den abgesagten Streiks die Gefahr, das Momentum unter den Streikenden selbst zu verlieren. Der Gewerkschaftskongress wäre zudem die erste Präsenzversammlung dieser Art seit dem Beginn der Pandemie gewesen und damit eine wichtige Gelegenheit, sich über das Herangehen an die bevorstehenden Auseinandersetzungen zu verständigen.
Truss, die den durch mehrere Skandale untragbar gewordenen Boris Johnson am Dienstag vergangener Woche als Premierministerin abgelöst hatte, hatte der britischen Tageszeitung „Morning Star“ zufolge bereits jetzt zahlreiche Maßnahmen gegen Arbeitskämpfe geplant: So könnte die erforderliche Wahlbeteiligung bei Urabstimmungen erhöht werden wie auch die erforderliche Mehrheit in bestimmten Bereichen. Ankündigungsfristen für Streiks könnten verlängert, Unternehmern die Möglichkeit gegeben werden, Tarifverhandlungen durch individuelle Angebote zu umgehen. Dies sind nur einige Beispiele, weitere Maßnahmen stehen zur Debatte.
Gleichzeitig zeigt sich, dass die neue Regierung entgegen allen Versprechungen keine wirksamen Maßnahmen gegen die gestiegenen Lebenshaltungskosten ergreifen wird. Zwar kündigte Truss eine Begrenzung der Energiepreise an, doch diese ist bei weitem nicht ausreichend. Demnach sollen die Kosten für einen Durchschnittshaushalt in den kommenden zwei Jahren bei nicht mehr als 2.500 Pfund liegen – das sind immer noch 550 Pfund mehr als die gegenwärtigen Preise. Mit der angekündigten Deckelung betragen die Kosten laut Berechnungen der „BBC“ rund doppelt so viel wie im letzten Winter.
Gerade angesichts des bevorstehenden Winters mehren sich die Warnungen der Hilfsorganisationen angesichts der gestiegenen Lebensmittel- und Energiepreise. Ein großer Teil derer, die staatliche Gelder als Geringverdiener oder Arbeitslose beziehen, lassen inzwischen Mahlzeiten aus, viele sogar tageweise. Wie die Hilfsorganisation „Trussell Trust“ bekanntgab, trifft dies auf rund zwei Millionen Menschen zu. Tafeln, wie sie der „Trussell Trust“ anbietet, werden weit häufiger als bisher genutzt, sodass laut der Zeitung „The Guardian“ die Mehrheit der Tafeln inzwischen davor warnt, den Bedarf im Winter nicht mehr decken zu können.
Doch während diese Krise vorvergangene Woche noch eines der zentralen Themen war, ist sie jetzt durch Ereignisse rund um den Tod der Queen aus den Schlagzeilen verdrängt worden. „Elizabeth Windsor ist gestorben und hat das Königreich, über das sie regierte, ärmer zurückgelassen, mit größeren Ungleichheiten“, kommentierte die Kommunistische Partei Britanniens. den Tod der Königin. „Das Versagen der Monarchie als Institution ist in ihr selbst verankert und sie hat jahrhundertelang eine Rolle im Empire und in der Klassenherrschaft und als aktiver Vertreter der Kapitalistenklasse gespielt. (…) Auch wenn sie in den kommenden Tagen nicht zu hören sein werden, werden sich mit der Zeit die vielen Millionen Menschen aus der Arbeiterklasse zeigen, die sich eine Republik wünschen.“ Stimmen, die der Monarchie kritisch gegenüberstehen, nehmen in der aktuellen Berichterstattung nur wenig Raum ein. Während der Krönungszeremonie von Charles III. wurde dagegen eine Person wegen eines antimonarchistischen Plakats festgenommen.