100 Menschen stehen und sitzen Donnerstagabend vergangener Woche eng gedrängt im Stadtteilzentrum „Mittendrin“ in Wedel bei Hamburg. Gekommen sind sie zur Premiere eines Dokumentarfilms über die 2023 verstorbene Zeitzeugin, Antifaschistin und Kommunistin Marianne Wilke. Die Wedelerin war bis ins hohe Alter von 93 Jahren an Schulen, in Gedenkstätten und als Rednerin auf Demonstrationen aktiv. Nicht nur überlebte sie als sogenannte „Halbjüdin“ die Nazizeit in Hamburg, sondern wurde fast nahtlos daran anschließend aktiv für eine gerechtere Welt. Sie beteiligte sich an der Befreiung Helgolands aus den Fängen des britischen Militärs, eine eher unbekannte Geschichte der Nachkriegszeit, organisierte sich in der KPD und später in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, deren Ehrenvorsitzende sie zuletzt in ihrem Landesverband war. Der Film begleitet Marianne und bettet ihre Erzählungen und Ansichten handwerklich gut zwischen Archivaufnahmen und Alltagssituationen ein.
Das Projekt entstand unter der Schirmherrschaft der VVN-BdA Schleswig-Holstein und wurde durch die breite Unterstützung und Spendenbereitschaft verschiedenster Gewerkschaften und Organisationen ermöglicht. Die an die Vorstellung anschließende Diskussion mit dem Filmteam sowie Angehörigen war bewegend und motivierend zugleich.
„Wir leben sprichwörtlich in einer Zeitenwende. Der deutsche Militarismus und Faschismus ist auf dem Vormarsch. Und diejenigen, die beides in Höchstform am eigenen Leibe miterlebt und überlebt haben, gehen langsam aber sicher von uns“, sagte der Regisseur und Filmemacher Johannes Hör. „Dem müssen wir etwas entgegensetzen. Ich bin froh, Marianne kennengelernt zu haben und dass ich die Gespräche mit ihr, ihre Art und ihren Charakter für die Nachwelt verarbeiten durfte.“
Ihr Sohn machte in der Diskussion klar: „Marianne war gegen jeden Krieg. Wir wurden zuhause so erzogen. Sie war auch gegen den Krieg der israelischen Armee gegen die Palästinenser. Heute wäre sie deshalb vielleicht als Antisemitin bezeichnet worden.“ Denn in vielerlei Hinsicht ist der Film ein Kommentar zum aktuellen reaktionären Zeitgeist, in dem selbst jüdische Stimmen für eine friedliche Lösung von Konflikten zum Schweigen gebracht und Pazifisten als Putin-Versteher diffamiert werden. Marianne Wilkes Biographie verkörpert nicht nur eine klare Haltung, sondern zeigt auch auf, wie sie zu dieser Haltung kam. Ihre Position gegen Antisemitismus, Militarismus und für den gemeinsamen Kampf progressiver Kräfte sind in echten Auseinandersetzungen mit dem Staat und in der Gesellschaft entstanden.
Marianne selbst proklamiert im Film: „Für mich sind die Widerstandskämpfer, die gegen die Nazis waren, die wahren Helden. Wenn Sozialdemokraten, Kommunisten und alle, die gegen die Nazis waren, wenn die zusammengehalten hätten, hätte man das vielleicht verhindern können.“
Dort, wo aktuell über „Wehrkunde“ diskutiert wird, fehlen künftig die mahnenden Stimmen, die selbst noch erlebt haben, wie in den 1930ern Granatenweitwurf im Sportunterricht praktiziert wurde. Bewusst für den Einsatz an Schulen entworfen und dafür ausdrücklich empfohlen durch den Beauftragten für Politische Bildung Schleswig-Holsteins, könnte der Film ein Lichtblick sein für den Schulunterricht. Denn Marianne spricht bewusst die jüngere Generation an und ermutigt zum Widerstand.
„Marianne lebt im Film weiter“ hörte man wiederholt von ihr Nahestehenden aus dem Publikum.
In 90 Minuten hält der Film „Einmal und nie wieder!“ ihre Biographie und Botschaft für die Nachwelt fest.
Einmal und nie wieder! Eine Dokumentation mit und über Marianne Wilke
Regie: Johannes Hör
Der Film kann kostenfrei für Vorstellungen und Bildungsabende über die VVN-BdA Schleswig-Holstein angefragt werden. Die nächste Vorstellung ist für den 15. Mai im Metropol-Kino Kiel geplant.