5. Parteitag der Europäischen Linkspartei in Berlin

Widersprüche und offene Fragen

Von Günter Pohl
Am vergangenen Wochenende hat die Europäische Linkspartei (ELP) in Berlin ihren 5. Parteitag abgehalten. Dabei wurden Gregor Gysi und seine vier Stellvertreter/innen ohne Gegenkandidatur mit nur 67,6 Prozent zum neuen Vorsitzenden gewählt.
Etwa dreihundert Delegierte aus 26 Mitglieds- und mehreren Beobachterparteien nahmen an dem zweieinhalbtägigen Parteitag teil, der unter dem Motto „Bündnisse schaffen – Für ein Europa der Solidarität“ stand und von der deutschen Partei „Die Linke“ im Berliner Congress Center perfekt organisiert worden war. Man hatte dazu sowohl die DKP als auch die „Marxistische Linke“ eingeladen.
Dem Parteitag ging ein Treffen mit Vertreter/inne/n des Forums von São Paulo voraus, in dem die da und dort nach rechts gedriftete Lage in Lateinamerika diskutiert und analysiert wurde. Dort wurde der Vorschlag unterbreitet ein ähnliches Forum auch in Europa zu gründen; darauf wurde während des Parteitags immer wieder positiv Bezug genommen. Da es sich – wenigstens nach außen – derzeit noch um ein unausgegorenes Projekt handelt, sind auch Fragen wie die nach der praktischen Machbarkeit und der politischen Tragweite noch weitgehend unklar. Jedenfalls wird ein Einschluss der traditionellen Kommunistischen Parteien, wie es auch in Lateinamerika der Fall im Forum von São Paulo ist, der Einheit der Linkskräfte in Europa wohl tun. Denn die Europäische Linkspartei mit ihrer EU-Definition will weder noch kann sie ein Sammelbecken für alle Linken sein.
Dazu müsste allein schon der Unterschied zwischen EU und Europa benannt werden, wie es die scheidende stellvertretende Vorsitzende Marisa Matias einforderte und dafür von manchen Delegierten erstaunten, von anderen erleichterten Applaus bekam. Der Leitantrag trug diese Problematik schon im Titel „Europa neu gründen; ein neue fortschrittliche Gemeinsamkeit aufbauen“. Er wurde nach einer Debatte mit vielen Einzelbeiträgen mit überzeugenden 81 Prozent angenommen; dabei stritt man sich vorwiegend um die Reformierbarkeit der EU, was in dieser Offenheit eine neue und positive Entwicklung bei der ELP ist. Darüber hinaus wurden vierzehn zusätzliche Anträge verabschiedet.
Deutlich vermissen musste man eine Perspektive für die ELP. Immerhin gab es mit zwei, bei Wahlen recht erfolgreichen linkssozialdemokratischen Parteien aus Slowenien endlich einen qualitativ erfreulichen Zugewinn aus Osteuropa, aber wohin die Reise der Europäischen Linkspartei politisch geht, ist zwölf Jahre nach der Gründung dieser Parteienpartei unklarer denn je. Wenn im Leitantrag festgestellt wird, dass der EU die Werte verloren gegangen seien, dann muss man sagen, welcher Wert wann existiert hatte – wenn man schon nicht wahrhaben will, dass der eigentliche und einzige Wert aus acht Münzen und sieben Scheinen besteht und gerade Südeuropa drangsaliert.
Nach sechs Jahren wurde Pierre Laurent, gleichzeitig auch Vorsitzender der Französischen KP, auf einen Stellvertreterposten versetzt. Dass sein designierter Nachfolger Gregor Gysi zu den entschiedenen EU-Befürwortern gehört, war den Delegierten bereits klar, als sie nach Berlin fuhren, anderes nahmen sie erst dort wahr.
Denn Gregor Gysi hat selbst nur wenige Stunden am Parteitag teilgenommen – und zwar nur ab Samstagnachmittag, als er mit der gefeierten ELP-Ikone Alexis Tsipras den Saal betrat und es nach dessen Rede um seine Wahl ging. Wegen dieser offenkundigen Geringschätzung der Delegierten, wegen seinen Äußerungen zu Fidel Castro, den er in einem Interview am 28. November als „Diktator“ bezeichnet hatte (http://www.nwzonline.de/interview/das-war-eine_a_31,1,3887878861.html), und auch wegen der Tatsache, dass nun ein weiterer Deutscher eine der Parteien und Fraktionen im EU-Geflecht präsidiert, befürchtete der Vorstand zurecht eine öffentliche Abstrafung Gysis. Man schlug also eine Blockwahl vor, wo in einem Zug auch die vier stellvertretenden Vorsitzenden mitgewählt wurden; dieses kuriose Verfahren setzte sich nach Protesten in einer Kampfabstimmung letztlich äußerst knapp durch. Die Kandidat/inn/en für die Stellvertretung – neben Pierre Laurent und dem neu hinzukommenden Paolo Ferrero die bisherigen Stellvertreterinnen Maite Mola und Marina Mileva – sind durchaus beliebt und konnten eigentlich mit bis zu 90 Prozent Zustimmung rechnen. Ein Teil der Delegierten entschied sich aus diesem Grund nicht für eine Kollektivabstrafung, ein anderer Teil tat es trotz dieser Bedenken dennoch – so pendelte sich der kollektive Wille bei unter 68 Prozent ein. Die Wahl des weiteren Vorstands aus 52 Mitgliedern wurde ebenfalls in Blockwahl durchgeführt und ergab 99,3 Prozent Zustimmung. Blockwahl und an die hundert Prozent dürfte es im Osten Berlins bei einem Parteitag über 27 Jahre lang nicht mehr gegeben haben und damit dieses Wahlprozedere in die kurze Geschichte der Partei eingehen.
Viele Delegierte hatten jedenfalls eine völlig andere Meinung zur Kubanischen Revolution und ihrem Kommandanten als ihr neuer Vorsitzender: am Freitag gab es eine Schweigeminute und am Samstag Beifall für die Rede von Juan Valdés, Vertreter der KP Kubas beim ELP-Parteitag sowie eine Unterbrechung für eine Kundgebung des Netzwerks Cuba gegen die US-Blockade direkt vor dem Tagungsgebäude.

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"Widersprüche und offene Fragen", UZ vom 23. Dezember 2016



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