Zum Verhältnis Russland – EU

Widerborstiger Sündenbock

In den europäischen Hauptstädten und Redaktionsstuben ist die große Empörung ausgebrochen. Der russische Außenminister Sergei Lawrow hatte anlässlich des Besuchs des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell Klartext gesprochen. Die Beziehungen zur EU seien praktisch „am Ende“. Die EU habe darauf seit Jahren konsequent hingearbeitet. Brüssel habe die Beziehungen kontinuierlich „zerrissen“ und „zerstört“. Nawalny, Skripal, die Krim … Russland sei auf einen Abbruch der Beziehungen mit der EU vorbereitet, sollte diese ihren Sanktionskurs gegen Russland fortsetzen.

Das ist natürlich für die arrogante Politik- und Medienkamarilla in Europa ein Skandal erster Ordnung, wenn so ein hergelaufener Typ aus einem drittklassigen, dazu noch slawischen Staat, einem „Obervolta mit Atomraketen“, wie Helmut Schmidt seinerzeit so wunderbar formulierte, statt dankbar alle Sanktionen und Beleidigungen mit einem servilen „Vielen Dank, mein Herr!“ zu kassieren, nun in renitenter Weise meint, eine eigene Meinung formulieren zu müssen und sogar mit dem Abbruch der Beziehungen droht.

Nur ist Russland nicht mehr das „Obervolta mit Atomraketen“ und auch nicht mehr auf Gedeih und Verderb auf den „Westen“, auf Europa, angewiesen. Russland hat eine strategische Partnerschaft mit China, der mit Abstand größten Industriemacht des Globus, ebenso mit dem Iran, und es betreibt zahlreiche Militärprojekte mit Indien. Das Land ist eng in die voranschreitende Kooperation der eurasischen Staaten eingebunden und es gibt gute Beziehungen zu vielen afrikanischen und auch südamerikanischen Staaten. Und – Russland kann sich verteidigen. Es ist nicht mehr das Land, in das man noch wie Napoleon, Wilhelm II. oder Hitler einfach einmarschieren kann. Russland kann im Zweifel auf Europa verzichten. Ob Europa das in Bezug auf Russland ebenso kann, ist die Frage.

So muss es nicht kommen. Lawrows Statement ist so etwas wie ein Alarmsignal: Bis hierhin und nicht weiter! Die EU könnte sich auf ihre ureigenen Interessen besinnen und nicht blindlings der Konfrontationspolitik Washingtons und seiner U-Boote in der EU folgen. Könnte. Danach sieht es derzeit allerdings nicht aus. Die Corona-Panik hat die ohnehin vorhandenen Konflikte in der EU und den manifesten Separatismus zusätzlich verschärft. Den führenden Kräften in Berlin, Paris und Brüssel fehlt völlig eine das gemeinsame Interesse formulierende Strategie. Eine Lage, die geradezu nach einem russischen Sündenbock schreit.

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"Widerborstiger Sündenbock", UZ vom 19. Februar 2021



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