Rudolph Bauers „Kritisches Wörterbuch des Bunten Totalitarismus“

Wider die Begriffsverwirrung

Der ehemalige Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) stellte einst seinen Mannen in Partei und Staat die Aufgabe, den Linken ihre Begriffe aus der Hand zu schlagen. Man kann nicht sagen, dass er damit völlig erfolglos blieb: Die Verwirrung der Begriffe hat verheerende Wirkungen.

Bert Brecht traf den Nagel auf den Kopf: „Die Begriffe, die man sich von was macht, sind sehr wichtig. Sie sind die Griffe, mit denen man die Dinge bewegen kann.“ Die Begriffsverwirrung, die imperialistischer Ideologie, Politik und Ökonomie immanent ist, führt zu Orientierungslosigkeit – nicht zuletzt hinsichtlich der eigenen Interessen. Das freut die Herrschenden, es nützt ihrer Macht, deshalb fördern sie die Verunsicherung im Denken. Um so verdienstvoller ist es, wenn Autoren dieser Verwirrung gekonnt nachgehen. Zu ihnen gehört der Politikwissenschaftler Rudolph Bauer, dem der Staat vor Kurzem die Repressionsinstrumente zeigte (UZ berichtete) und der bei einigen „linken“ Medien ob seiner nicht selten bewusst provozierenden Kritik in Ungnade gefallen ist. Abgeschworen hat er nicht.

Bauer veröffentlichte im pad-verlag ein Wörterbuch, das bislang in zwei Teilen erschienen ist mit den Stichworten A bis H und I bis N. Der Titel klingt etwas ungewöhnlich: „Kritisches Wörterbuch des Bunten Totalitarismus“. Was könnte das sein? Was meint der Autor damit? Was heißt hier „kritisch“ und was „Bunter Totalitarismus“? Natürlich beantwortet der Autor diese Fragen ausführlich – der Eintrag „Bunter Totalitarismus“ nimmt eineinhalb Seiten in Anspruch. Bauer weiß um die Bedeutung der Begriffe und ihrer Verwirrung für das politische Handeln. So analysiert er Begriffe vornehmlich der Sprache der Politik sowohl in ihrem tatsächlichen, dem Gegenstand entsprechenden Inhalt als auch in ihrer durch Ideologie und Verhältnisse entleerten und somit umfunktionierten Form. Der Autor möchte aufrütteln und aufklären, um die Verhältnisse nicht erst „im Nachhinein, wenn es zu spät ist, als bunt-totalitär“ zu erkennen und zu verurteilen. Das geschieht – dem Gegenstand angemessen – mit einer nicht geringen Portion Ironie und Zynismus, auch Humor, wobei die Frage, wann es zu spät ist, unbeantwortet bleibt. Die Kritik geht von einer materialistischen Position aus und betont, dass die Wörterbuch-Stichworte immer nur die halbe Wahrheit abbilden, in der Regel das an der Oberfläche Sicht- und Erkennbare, das als Ausgangspunkt des Handelns genommen wird. „Was dabei unterhalb der Oberfläche des Sicht- und Erkennbaren bleibt, ist der strukturelle Gesamtzusammenhang, wie er von Marx in der ‚Kritik der Politischen Ökonomie‘ analysiert und dargestellt worden ist.“

„Bunter Totalitarismus“ ist für Bauer ein Konzept, „das sich ideologisch und systemisch als bunt und ‚antifaschistisch‘ tarnt und die politisch angepassten Teile der Zivilgesellschaft und ihrer Nichtregierungsorganisationen“ fördere. Es lässt sich darüber streiten, inwieweit dieser vom Autor gewählte sprachliche Ausdruck geeignet ist, die hier und im Wörterbuch beschriebenen Erscheinungen in ihrem Wesen und ihrer Vielfältigkeit angemessen widerzuspiegeln, eben auf den Begriff zu bringen. Er will aber auch aufzeigen, inwieweit bei einzelnen Begriffen das heutige politische Vokabular in die Nähe faschistischer Diktion rückt. Wie wir wissen, geht es dabei vor allem darum, dass die faschistische Ideologie als pure imperialistische Ideologie in ihrer gewaltigen Demagogie wie ein Chamäleon auftrat, je nach Anlass und Bevölkerungsgruppe. Die Frage, was das Ganze bezwecke, war also stets zu stellen. Nun ist es aber so, dass bürgerliche Demokratie immer mit falschem Flitter versehen ist, dass die autoritäre Umwandlung der offiziellen politischen Institute insgesamt Ausdruck der reaktionären Tendenzen in der Entwicklung des imperialistischen Staates, seines Apparats ist. „Wenn sich (…) die politische Macht in den Händen einer Klasse befindet, deren Interessen mit denen der Mehrheit auseinandergehen, dann verwandelt sich jedes Regieren entsprechend der Mehrheit unvermeidlich in einen Betrug an der Mehrheit oder in Unterdrückung dieser Mehrheit.“ (Lenin)

Die Entlarvung der Imperialisten, der Kapitalisten, wie sie Bauer durch seine Begriffskritik vornimmt, ist immer ein wesentlicher Schritt zur Formierung von Gegenmacht. In seinem Wörterbuch reiht sich Stichwort an Stichwort: „Antifaschismus“, „Demokratie“, „Desinformation“, „Delegitimierung“, „Frieden“, „Innere Sicherheit“. Es scheint mir sehr wichtig, im Blick zu behalten, dass die DKP die gegenwärtige Entwicklung des politischen Überbaus als „reaktionär-militaristischen Staatsumbau“ bezeichnet. Zur Darstellung dieser Art politischer Konsolidierung trägt auch Bauers Wörterbuch bei – wobei nicht vergessen werden darf, dass ein solcher Umbau des Staatsapparats eine Unterordnung der zivilen Staatsorgane unter die militaristischen Institutionen bedeutet.

Das Buch regt sehr zum Nachdenken an und sei als Lektüre empfohlen.

Rudolph Bauer
Kritisches Wörterbuch des Bunten Totalitarismus
Bisher erschienen Heft 1 (A bis H) und Heft 2 (I bis N)
pad-verlag, Bergkamen 2024, je Heft 7,00 Euro
Bestelladresse: pad-verlag@gmx.de

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"Wider die Begriffsverwirrung", UZ vom 25. Oktober 2024



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