Was ist Frieden? Die einfachste Antwort ist eine negative Bestimmung: wenn kein Krieg ist. Aber sie reicht nicht aus, denn auch im Nicht-Krieg kann es Konflikte geben, die sich auf gewaltsame Austragung hin bewegen. Frieden, positiv gefasst, ist also ein gesellschaftlicher Zustand, in dem Widersprüche nicht mit unüberwindlichen Interessengegensätzen verknüpft sind, sondern zu einer konstruktiven Entwicklung führen können. Frieden in diesem Sinne ist in Klassengesellschaften unwahrscheinlich. So scheint, angesichts der Zerstörungskraft gegenwärtiger Waffen, heute die Konzentration auf den kleinen, verkrüppelten Frieden sinnvoll, der Nicht-Krieg, so unsicher dieser Ausweg auch geworden ist.
„Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen“, so haben Jutta Kausch und Christa Weber (Vortrag, Gesang) sowie Stefanie Rediske (Klavier) ihr Programm denn auch genannt. Der Titel klingt ein wenig nach Überdruss. Er enthält aber die politische Einsicht, dass nicht nach einem Mal das gute Argument sich durchsetzt, sondern als richtig gilt, was oft und wirksam genug verbreitet wurde. Die Abfolge enthält Lieder und Texte, von denen – mit Ausnahme eines Gedichts über Kinder in Gaza von Ramy Baroud – keines in jüngster Zeit entstanden ist. Doch ist das auch gar nicht nötig, denn vieles Ältere ist immer noch gültig.
Die stilistische Bandbreite ist groß. Das Programm bringt Gedichte Bertolt Brechts, teils in Vertonungen von Hanns Eisler und Paul Dessau, und Lieder von Christof Herzog, der sich in diese Traditionslinie eingereiht hat. Ebenso hört man Kompositionen aus der Friedensbewegung in der Bundesrepublik, etwa von Reinhard Mey. Letztere sind musikalisch und textlich kompromissbereit. Sie laden alle Menschen guten Willens ein, sich zusammen für den Frieden einzusetzen, was an sich nicht schlecht ist. Doch sind sie von einer gewissen Milde. Für jüngere Hörer, in anderer medialer Umgebung und einer an Härte gewöhnteren Zeit, mag das von weit her klingen. Diese Vermutung wäre empirisch zu überprüfen. Mit einiger Wahrscheinlichkeit erweist sich jedenfalls die Linie Eisler – Dessau – Herzog als die beständigere.
Das Programm eröffnet Bob Dylans „Blowin’ in the Wind“ in der deutschen Version von Hans Bradtke: „Die Antwort weiß ganz allein der Wind“. Diese Reihe von Fragen à la: „Wie viele Mütter sind lang schon allein und warten, und warten noch heut“ zielen aufs Gemüt von Unentschlossenen. Natürlich weiß niemand die Zahl, und schon gar nicht der Wind. Aber die Ursachen, weshalb die Mütter warten, sind lange schon analysiert und müssen immer wieder aufs Neue gesagt werden. Kausch und Weber führen denn auch einen kurzen Dialog darüber, was man über Dylan/Bradtke hinaus wissen kann und mitteilen soll.
So findet sich ein Block von Liedern im Programm, der mit dem Thema Frieden auf den ersten Blick kaum etwas, auf den zweiten aber sehr viel zu tun hat. Es geht um den inneren Krieg. Im von Herzog vertonten „Hungerlied“ von Georg Weerth klagen die Ärmsten, wie sie ab Montag von Wochentag zu Wochentag weniger zu essen haben und drohen, falls am Samstag keine Besserung eintritt, am Sonntag den König zu packen und zu fressen. Das ist die revolutionäre Variante. Düster drohend dagegen ist „O Falladah, die du hangest (ein Pferd klagt an)“ von Bertolt Brecht, komponiert 1932 von Eisler. Ein Pferd berichtet, wie es seine Last nicht mehr ziehen kann, zusammenbricht, und wie die Hungrigen herbeilaufen, um eine Mahlzeit zu erbeuten. Sie schneiden sich Fleisch heraus: „Und ich lebte überhaupt noch und war gar nicht fertig / Mit dem Sterben.“ Dabei waren dieselben Leute früher so gut zu dem Tier, streichelten es: „Wer schlägt da so auf sie ein / Dass sie jetzt so durch und durch erkaltet? / So helft ihnen doch! Und tut das in Bälde! / Sonst passiert euch etwas, was ihr nicht für möglich haltet!“
Die Einschätzung traf zu, es folgten Faschismus und Krieg. Durch und durch erkaltet sind viele auch heute, entweder weit rechts oder aber liberal in moralisierender Aggression, begründet durch herbeiphantasierte westliche Werte. Dass die Nachfolger des Königs nächstens gepackt und gefressen werden, ist dagegen unwahrscheinlich. Doch ist der erfolgreiche Kampf für eine vernünftige Ordnung im Inneren Voraussetzung des Friedens nach außen.
Das Programm ist klug und wirksam, weil es dies unmissverständlich klarstellt. Andere Texte und Lieder mit leidenden Kindern und Müttern wirken emotional und damit politisch; wobei der sechzigjährige Autor dieser Zeilen auch den Kriegstod älterer Männer keineswegs als eine Bagatelle ansieht. Am Ende steht, aus Brechts und Eislers „Die Mutter“, das „Lob der Dialektik“: „So, wie es ist, bleibt es nicht.“
Christa Weber, Jutta Kausch (Vortrag und Gesang) und Stefanie Rediske (Klavier)
„Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen … solange es nötig ist“
Weitere Termine:
Oktober – 19 Uhr, Villa Ichon, Goetheplatz 4, 28203 Bremen
Dezember – 19.30 Uhr, Regenbogenfabrik/Kino, Lausitzer Straße 21A
Wer nach einem Highlight für die nächste Veranstaltung mit Bündnispartnern sucht, wer das kulturinteressierte Publikum in seiner Stadt für den Frieden gewinnen möchte oder wer mit Kultur zu den kommenden Ostermärschen mobilisieren möchte – das Programm kann gebucht werden!
Anfragen und Terminabsprachen bei Christa Weber unter zauberfloete@alice.de.