Betrachten wir heute eine Karte des Kriegsschauplatzes in Syrien, sehen wir sehr viel klarere Fronten als noch vor ein oder zwei Jahren. Vier Zonen in Syrien – Idlib im Norden, Teile von Latakia, Homs und Hama im Zentrum und Gebiete um die Hauptstadt und im Süden Syriens – gelten nun als „sichere“ Zonen, um die nicht weiter gekämpft wird. Womöglich bilden die Grenzen dieser Zonen bereits die ersten Risse im Gefüge Syriens und die Sollbruchstellen, an denen entlang das Land aufgeteilt werden soll.
Heute kontrollieren die kurdischen YPG und ihre Verbündeten den Norden Syriens. Das Gouvernement Idlib und größere Gebiete im Süden sind in der Hand von islamistischen Gruppen und al-Kaida. Die eigentlichen Bevölkerungszentren aber, von Teilen Deraas im Süden über Damaskus, Homs, Hama bis zu Aleppo im Norden und die Städte an der Küste sind Regierungsgebiet.
Der Islamische Staat verliert immer mehr Territorium. Sein Einfluss erstreckt sich heute auf ein Gebiet, das an den Irak angrenzt und im Wesentlichen vom Grenzort al-Bukamal bis al-Raqqa reicht. Und in Bukamal zum Beispiel reichen die Wurzeln der islamistischen Bewegungen bis in die Zeit der Proteste von 2011 zurück.
Nach der Befreiung Aleppos durch die syrische Armee ist die Stadt Raqqa heute ein vorrangiges Ziel – für die USA und ihre kurdischen Verbündeten geht es darum, ihre Machtpositionen vor weiteren Verhandlungen auszubauen. Während sich die überwiegend kurdischen SDF („Syrian Democratic Forces“) von Norden her Raqqa nähern, versucht die syrische Armee von Westen her die Stadt zu erreichen. Obwohl die Armee den IS aus dem Luftwaffenstützpunkt Jirrah im Osten des Gouvernements Aleppo vertrieben hat und versucht Raqqa vor den SDF zu erreichen, hat sie noch einen viel weiteren Weg zurückzulegen als die SDF.
Die USA rüsten mittlerweile die kurdische YPG, die den Kern der SDF bilden, mit Handfeuerwaffen, Maschinengewehren, Munition und gepanzerten Fahrzeugen aus. „Die SDF sind die einzigen Kräfte am Boden, die al-Raqqa in naher Zukunft mit Unterstützung der USA erobern können“, sagte Pentagon-Sprecherin Dana White.
Die naheliegende Lösung – eine Zusammenarbeit mit Syrien und der Russischen Föderation – kommt für die USA nicht in Frage.
Die SDF sollen Raqqa im Auftrag der USA und mit Unterstützung der USA erobern – aber US-Truppen sind auch direkt involviert. Im März wurden 400 weitere US-Soldaten mit schwerem Gerät in die unter kurdischer Kontrolle stehenden syrischen Gebiete verlegt. Formell gilt für das Pentagon eine Obergrenze von 500 Soldaten, die in Syrien aktiv sein dürfen, aber je nach militärischer Lage dürfen weitere Soldaten darüber hinaus „vorübergehend“ in Syrien stationiert werden.
Die Karte des Kriegsschauplatzes zeigt, dass die Aufteilung des Landes vielleicht nur dann verhindert werden kann, wenn es der syrischen Armee gelingt, weiter nach Raqqa und Deir ez-Zor vorzudringen. Je mehr Gebiete die Regierung kontrollieren kann, desto mehr wird eine stabile Grundlage für einen einheitlichen Staat geschaffen.
Für die USA ist der Versuch, ihren Einfluss in Syrien zu stärken und womöglich eine Aufteilung des Landes zu erreichen, so wichtig, dass sie wegen ihrer Unterstützung für die kurdische YPG sogar eine Konfrontation mit dem NATO-Partner Türkei und dem türkischen Präsidenten Erdogan in Kauf nehmen.
Die „historische Entscheidung“ der US-Regierung, die Bewaffnung der kurdischen Miliz weiter zu verstärken, gilt weniger dem Kampf gegen den IS, als dem Kampf um Syrien.