Die militärische Lage im NATO-Krieg gegen Russland beschrieb der oberste Militär Kiews, Waleri Saluschni, Anfang November im britischen „Economist“ als „Pattsituation“. Seitdem wird in der Kiewer Regierungclique gerangelt. Saluschni reiste, berichtete zum Beispiel die FAZ am Dienstag dieser Woche unter Berufung auf die „Ukrainskaja Prawda“ vom Vortag, vor zwei Wochen nach Washington und weinte sich bei seinem wahren Vorgesetzten, US-Kriegsminister Lloyd Austin, aus: Selenski mische sich in seine, Saluschnis, Kompetenzen ein und kommuniziere direkt mit Kommandeuren, ohne ihn zu fragen. Ebenfalls am Dienstag griff der „Tagesspiegel“ einen Facebook-Eintrag des ukrainischen Militärjournalisten Juri Butussow auf, der „von ‚Intrigen‘ im Umgang des Präsidialbüros mit der Armeeführung“ geschrieben hatte. Selenski hatte sich bereits am 20. November das britische Verblödungsblatt „Sun“ ausgesucht, um zu verkünden: „Wenn ein Militär beschließt, in die Politik zu gehen, dann ist das sein Recht, dann sollte er in die Politik gehen, aber dann kann er nicht in den Krieg ziehen … Bei allem Respekt für General Saluschni und alle Kommandeure, die auf dem Schlachtfeld stehen, es gibt eine Hierarchie, und das ist alles, und es kann nicht zwei, drei, vier, fünf Befehlshaber geben.“ Bei einer Umfrage vom 1. Dezember lag Selenski mit 42 Prozent vor Saluschni mit 40 Prozent Zustimmung. Der käme damit bei der im Frühjahr anstehenden Präsidentenwahl, die Selenski gerade absagen will, in die zweite Runde.
Am 2. Dezember zeigte sich Kiews Bürgermeister Witali Klitschko im Interview mit dem kostenlosen Schweizer Boulevardblatt „20 Minuten“ prompt nicht überrascht, dass Selenskis Popularität sinkt: „Es gab zu viele Informationen, die sich mit der Realität nicht deckten.“ Und zu Saluschni: „Er hat die Wahrheit gesagt … Selbstverständlich können wir euphorisch unser Volk und unsere Partner anlügen. Aber das kann man nicht ewig machen.“ Im übrigen verlangt Klitschko Langstreckenwaffen vom Westen.
Die Verbündeten Kiews sind offenbar ähnlich hin- und hergerissen wie die befragten Ukrainer. Noch am 19. Oktober schien der Westen unerschütterlich, beantragte Joseph Biden 61,4 Milliarden US-Dollar neuer Militärhilfe beim Kongress und nannte das eine „schlaue Investition“. Am 4. Dezember aber veröffentlichte das Weiße Haus einen Brief der Direktorin des US-Haushaltsamtes, Shalanda Young, in dem sie zur Hilfe für Kiew mitteilte: „Wir haben kein Geld mehr – und fast keine Zeit mehr.“ Sollten die Waffenlieferungen unterbrochen werden, werde das die Ukraine „auf dem Schlachtfeld in die Knie zwingen“. Das steigere auch die Wahrscheinlichkeit russischer Siege.
Wie in Selenskis Marionettenclique über solche Unzuverlässigkeit gedacht wird, hatte einer seiner engsten Vertrauten, der Fraktionsvorsitzende der Selenski-Partei „Diener des Volkes“ in der Werchowna Rada, David Arachamija, am 24. November in einem Interview mit dem Kiewer Fernsehsender „1+1“ ausgeplaudert: Biden wende sich wegen „der Juden“ und „der jüdischen Lobby“ in den USA von Kiew ab. Juden seien in den USA „auf allen Ebenen und in allen Entscheidungszentren stark vertreten“ und übten Druck aus, um den Kampf gegen Wladimir Putin herunterzustufen, damit die Unterstützung für Netanjahus Krieg in Gaza Vorrang habe.
Nebenbei bestätigte Arachamija, der im Frühjahr 2022 Chefunterhändler Kiews bei den Gesprächen mit Russland über einen Waffenstillstand war, dass der Westen damals das Ende der Kampfhandlungen verhindert hatte: „Die Russen waren bereit, den Krieg zu beenden, wenn wir die Neutralität akzeptieren würden, wie es Finnland einst tat. Und wir waren bereit, uns zu verpflichten, dass wir der NATO nicht beitreten würden. Als wir aus Istanbul zurückkehrten, kam Boris Johnson nach Kiew und sagte: ‚Unterschreiben Sie nichts mit ihnen, ziehen Sie einfach in den Krieg.’“
Das Arachamija-Interview wurde kurz vor dem NATO-Außenministertreffen in Brüssel am 28. und 29. November ausgestrahlt. Kein deutschsprachiges Medium berichtete darüber, dpa verlinkte das Interview zwar am 1. Dezember, schrieb aber keine Zeile dazu. Die NATO machte gute Miene zu Kiews Spiel, schwor erneut, alles zu liefern, was nötig sei, ließ aber Generalsekretär Jens Stoltenberg auch ausrichten: „Es ist Sache der Ukraine, zu entscheiden, was akzeptable Wege zur Beendigung dieses Krieges sind.“ Und weiter: „Unsere Verantwortung ist es, die Ukraine zu unterstützen und … sie in die bestmögliche Position zu bringen, wenn oder falls Verhandlungen beginnen sollten.“ Am Ende tagte in Brüssel sogar der NATO-Ukraine-Rat zum ersten Mal. Er war auf dem NATO-Gipfel im Juli in Vilnius beschlossen worden, nachdem Selenski versucht hatte, Biden zu erpressen: Entweder sofortige Aufnahme der Ukraine in den Pakt oder er komme nicht nach Vilnius. Stoltenberg versprach in Brüssel jetzt erneut die NATO-Mitgliedschaft. Irgendwann.