Baerbock besucht Senegal und Côte d’Ivoire, um den schwindenden deutschen Einfluss in Westafrika zu stärken. Senegals neue Regierung lehnt äußere Einmischung ab. Zuvor hatte die Bundeswehr erklärt, aus Niger abziehen zu müssen

Westafrikas Kampf um Souveränität

Mit Besuchen in Senegal und Côte d’Ivoire sucht Außenministerin Annalena Baerbock den schwindenden deutschen Einfluss in Westafrika zu stabilisieren. In Senegals Hauptstadt Dakar sprach Baerbock am Montag mit Präsident Bassirou Diomaye Faye. Dieser hatte erst Ende März mit der Forderung, Senegal müsse sich aus der Bevormundung durch äußere Mächte lösen und seine Souveränität wiedererlangen, einen beeindruckenden Wahlsieg erzielt. Berlin hofft, davon zu profitieren, dass Dakar den starken französischen Einfluss endlich abschütteln will, dann aber andere Kooperationspartner braucht. Am gestrigen Dienstag traf Baerbock in Côte d’Ivoire ein, wo auch ein Treffen mit Präsident Alassane Ouattara auf ihrem Programm stand. Ouattara wurde 2011 durch einen französischen Militäreinsatz ins Amt gebracht; er gilt als einer der verbliebenen Parteigänger des Westens in der Region. Gegenstand der Gespräche war auch die Suche nach Möglichkeiten, den verlorenen Einfluss im Sahel zurückzuerlangen. Erst kürzlich hat Berlin angekündigt, die Bundeswehr aus Niger abzuziehen: Die Regierung dort ist nicht bereit, den deutschen Soldaten strafrechtliche Immunität zu gewähren.

Rückschläge im Sahel

Der Abzug aus Niger ist für Berlin aus mehreren Gründen schmerzlich. Zum einen verliert die Bundeswehr ihre letzte Operationsbasis im Sahel, einem Gebiet, das für Deutschland und die EU beträchtliche geostrategische Bedeutung besitzt. Die Bundesregierung hatte zuletzt noch versucht, den deutschen Lufttransportstützpunkt in Niamey wenigstens als sogenannte Cold Base zu halten – eine Art Miniaturstützpunkt, der bei Bedarf jederzeit aktiviert werden kann, etwa für Evakuierungsmaßnahmen auf dem afrikanischen Kontinent. Damit ist Berlin jedoch gescheitert. Zum anderen muss die Bundeswehr in einer Zeit abziehen, in der Russland seine Stellung im Sahel deutlich stärkt; es ist vor allem in Mali, inzwischen aber auch in Burkina Faso und Niger militärisch aktiv und hat begonnen, die Fühler zum Tschad auszustrecken. Damit verzeichnet der Westen im Machtkampf gegen Moskau einen weiteren Rückschlag auf dem afrikanischen Kontinent. Hinzu kommt, dass zwar – und dies schon vor der Bundeswehr – auch die Streitkräfte Frankreichs und der USA Niger verlassen mussten, dass allerdings nach wie vor Italien mit einem bilateralen Militäreinsatz („Missione bilaterale di supporto nella Repubblica del Niger“, MISIN) in dem Land präsent ist. Damit erleidet Berlin auch im innereuropäischen Machtkampf einen Rückschlag.

Keine strafrechtliche Immunität

Dabei ist die Verlängerung der Stationierungsrechte für die Bundeswehr am Flughafen in Niamey, wie übereinstimmend berichtet wird, nicht an prinzipiellen Einwänden von Nigers Regierung gescheitert. Ursache ist vielmehr, dass Berlin sich den Bestrebungen Niameys verweigert hat, sich die volle Souveränität über das Geschehen im eigenen Land zu sichern und ein Stationierungsabkommen auf Augenhöhe mit der Bundesrepublik zu schließen. Demnach war Nigers Regierung vor allem nicht bereit, den im Land stationierten deutschen Soldaten strafrechtliche Immunität einzuräumen und der Bundeswehr Blankorechte zum Überflug zu gewähren. Dass die westlichen Truppen – auch die deutschen – im Land nach Gutdünken schalten und walten zu können meinten, war bereits einer der Hauptstreitpunkte gewesen, an dem sich der Unmut von Malis Regierung über die europäische Truppenpräsenz dort entzündete, was letzten Endes zu deren erzwungenen Abzug führte. Die Bundesregierung ist trotz allem bemüht, in Niger zumindest einen Fuß in der Tür zu behalten. Das Bundesverteidigungsministerium kündigte an, an seiner Zusammenarbeit mit den nigrischen Streitkräften „niedrigschwellig“ festzuhalten, „etwa in den Bereichen Sanitätsdienst, Transport, Wartung, Pionierwesen, Logistik und beim Völkerrecht“.

„Souveräne Bevölkerungen“

Die Entwicklung im Sahel war auch Gegenstand der Gespräche, die Bundesaußenministerin Annalena Baerbock zu Wochenbeginn in Senegal führte. Baerbock traf dort unter anderem mit ihrer Amtskollegin Yacine Fall und mit Präsident Bassirou Diomaye Faye zusammen. Hintergrund ist, dass Senegals neue Regierung darum bemüht ist, die Beziehungen zu Mali, Burkina Faso und Niger nicht komplett abbrechen zu lassen. Die drei Sahelstaaten haben nicht nur fast alle westlichen Truppen aus dem Land geworfen und ihre Beziehungen zu den ehemaligen Kolonialmächten relativiert, während sie eine engere militärische Kooperation mit Russland aufgenommen haben. Sie haben sich außerdem aus der Regionalorganisation ECOWAS gelöst, der sie vorwerfen, im Interesse vor allem Frankreichs zu handeln. Darüber hinaus haben sie mittlerweile einen eigenen Staatenbund initiiert – die Alliance des États du Sahel (AES), die am 6. Juli in Niamey ihren Gründungsgipfel abgehalten hat. Die AES solle „eine Alternative zu allen künstlichen regionalen Gruppierungen sein“, sagte Nigers Präsident Abdourahamane Tiani anlässlich des Gipfeltreffens mit Blick auch auf die ECOWAS; man wolle „eine souveräne Gemeinschaft der Bevölkerungen“ schaffen, „eine Gemeinschaft, die sich vom Zugriff äußerer Mächte fernhält“.

„Eine erneuerte Partnerschaft“

Senegals Präsident Diomaye Faye, der Anfang April nach einem beeindruckenden Wahlsieg in sein Amt gelangt ist, wird noch am ehesten eine Chance auf Vermittlung gegenüber der AES zugetraut: Seine Regierung verlangt, darin gestützt auf eine breite Zustimmung in der Bevölkerung, eine größere Unabhängigkeit, insbesondere von der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich, und eine stärkere Souveränität ihres Landes. Damit trägt sie einer Stimmung Rechnung, die auch in weiteren Ländern Westafrikas an Verbreitung gewinnt. Sie strebt unter anderem – dieses Ziel teilt sie mit der AES – den Ausstieg aus dem Franc-CFA an, der an den Euro gekoppelt ist, und will ihn durch eine eigene Währung ersetzen. Zudem will sie die bestehenden Verträge über die Erdgasförderung in Senegal sowie über die Fischerei vor der senegalesischen Küste zugunsten ihres Landes neu verhandeln. Anders als die AES wünscht die senegalesische Regierung jedoch keinen Bruch mit den Staaten Europas, sondern, wie Diomaye Faye Ende April anlässlich eines Besuchs von EU-Ratspräsident Charles Michel in Dakar erklärte, „eine neu durchdachte, erneuerte Partnerschaft“. Grundlage dafür müsse eine Wiederherstellung der Souveränität seines Landes sein, die frühere Regierungen an ausländische Mächte „verschleudert“ hätten.

Cold Base in Dakar

Baerbock war in Dakar bemüht, Berlin in den Umbrüchen, die Senegal zur Zeit durchläuft, eine möglichst starke Position zu sichern, dies auch mit Blick auf etwaige Möglichkeiten für Präsident Diomaye Faye, auf die AES Einfluss zu nehmen. In Berlin ist zudem im Gespräch, eine Cold Base der Bundeswehr am Flughafen in Dakar als Ersatz für den wegfallenden Lufttransportstützpunkt in Niamey zu nutzen. Über den senegalesischen Hauptstadtflughafen hatte die Bundeswehr zeitweise auch Transportflüge abgewickelt. „Dessen Lage gilt als nicht so günstig“, heißt es dazu allerdings im Auswärtigen Amt; „zudem ist die Basis unbemannt und weniger gut ausgestattet.“

Der Umsturz von 2011

Wie stark sich die äußeren Machtverhältnisse in Westafrika in den vergangenen Jahren verändert haben, ließ sich an der zweiten Station von Baerbocks Reise in die Region ablesen – in Côte d’Ivoire, wo die Ministerin am gestrigen Dienstag eintraf. Dort sprach sie unter anderem mit Präsident Alassane Ouattara. Ouattara amtiert seit Mai 2011. Zuvor hatten stark umstrittene Wahlen stattgefunden; sowohl Ouattara als auch der damalige Amtsinhaber Laurent Gbagbo hatten sich zum Sieger erklärt. Frankreich wie auch die anderen Mächte des Westens unterstützten Ouattara, an dessen angeblichem Wahlsieg zwar deutliche Zweifel bestanden, der jedoch den alten, traditionell eng mit Paris kollaborierenden Eliten der Côte d’Ivoire entstammt. Als Ouattara letzten Endes den Versuch unternahm, das Patt im Streit um das Wahlergebnis gewaltsam zu lösen, startete Frankreich eine Militärintervention, verschleppte den ihm missliebigen Gbagbo aus dem Präsidentenpalast und bahnte Ouattara den Weg dorthin. Gbagbo wurde festgesetzt und vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt. Ouattara regiert bis heute.

Kein Umsturz 2023

Im Sommer 2023 zog Paris nach dem Putsch in Niger offenbar ein ähnliches Vorgehen in Niamey in Betracht, war aber, anders als 2011, nicht mehr in der Lage, es zu verwirklichen. Ouattara gehörte anschließend zu denjenigen ECOWAS-Staatschefs, die Pläne vorantrieben, mit ECOWAS-Truppen in Niamey einzumarschieren und die per Putsch an die Regierung gelangten Offiziere mit militärischer Gewalt zu entmachten. Auch dies ließ sich letztlich jedoch nicht realisieren.

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