Wessen Welt?

Kolumne von Bernd Müller

Der weltweite Reichtum konzen­triert sich in immer weniger Händen: Mittlerweile besitzt ein Prozent der Weltbevölkerung mehr Vermögen als der Rest der Welt zusammen. Und nur 62 Menschen nennen genauso viel ihr Eigen wie die ärmere Hälfte der Menschheit. Das sind die Hauptergebnisse des Berichtes „An Economy for the 1%“, den die Entwicklungsorganisation Oxfam am Montag vorstellte. Im Vorfeld des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos will Oxfam auf diesem Wege auf die krasse soziale Ungleichheit aufmerksam machen und zeigen, wie die Politik gegensteuern könnte.

Die Geschwindigkeit, mit der die Kluft zwischen Arm und Reich wächst, sei demnach noch größer als erwartet. Vor einem Jahr hatte Oxfam prognostiziert, im Jahr 2016 werde das reichste Prozent der Weltbevölkerung (70 Millionen Menschen) mehr besitzen als die restlichen 99 Prozent (sieben Milliarden Menschen) zusammen. Diese Schwelle wurde aber bereits 2015, ein Jahr früher als erwartet, erreicht. Das gesamte Vermögen der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung sei in den letzten fünf Jahren um rund 41 Prozent geschrumpft, was – in Geldwert ausgedrückt – etwa einer Billion US-Dollar entspricht – obwohl diese Gruppe um 400 Millionen Menschen angewachsen ist. Im gleichen Zeitraum sei das Vermögen der reichsten 62 Personen um mehr als eine halbe Billion US-Dollar (oder 44 Prozent) gewachsen.

Im Vergleich mit anderen OECD-Ländern seien in Deutschland die „Vermögen, Einkommen und Chancen“ besonders ungleich verteilt und der Trend habe sich in den vergangenen Jahrzehnten noch verstärkt. Die reichsten 10 Prozent der Haushalte hierzulande besitzen demnach mindestens 63 Prozent des Gesamtvermögens. Auch die Einkommen hätten sich seit dem Jahr 2000 vor allem zugunsten der Wohlhabenden entwickelt: „Die Löhne der untersten zehn Prozent der sozialversichungspflichtig Vollzeit-Beschäftigten sind inflationsbereinigt zwischen 2000 und 2005 um 2 Prozent gesunken und zwischen 2005 und 2010 um weitere 6 Prozent.“

Demgegenüber konnten Besitzer von Kapital ihr Vermögen stetig mehren durch Zinsen und Dividenden, die über den Wachstumsraten des Bruttonationaleinkommens lagen. Beigetragen dazu hat unter anderem, dass große Vermögen und Kapitalgewinne nur unzureichend besteuert werden und dass viele Unternehmen ihre Gewinne in Steueroasen verschieben. „Investitionen von Unternehmen in Steuerparadiesen haben sich zwischen 2000 und 2014 vervierfacht“, heißt es in einer Erklärung. Neun von zehn Großkonzerne machen dabei mit. Entwicklungsländern gingen auf diese Weise jedes Jahr mehr als 100 Milliarden US-Dollar an Steuereinnahmen verloren.

Afrikanischen Staaten gingen so Jahr für Jahr rund 14 Milliarden Dollar verloren, weil reiche Einzelpersonen ihre Vermögen in Steueroasen parken. Damit, so Oxfam, „ließe sich in Afrika flächendeckend die Gesundheitsversorgung für Mütter und Kinder sicherstellen, was pro Jahr rund vier Millionen Kindern das Leben retten würde“.

„Wir leben in einer Welt, deren Regeln für die Superreichen gemacht sind. Nötig ist dagegen ein Wirtschafts- und Finanzsystem, von dem alle profitieren“, sagte Tobias Hauschild, Referent für Entwicklungsfinanzierung bei Oxfam. Konzerne dürften sich nicht länger aus ihrer Verantwortung stehlen und müssten ihre Gewinne dort versteuern, wo sie sie erwirtschaften.

Oxfam appelliert mit dem Bericht an die Regierungen: „Die Politiker müssen die Anliegen der Bevölkerungsmehrheit über die Interessen der Superreichen stellen“, heißt es in einer Erklärung. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass diese Forderung Gehör findet, und das weiß Oxfam selbst sehr gut. Immerhin schreibt die Organisation selbst, was Marxisten und andere Kapitalismuskritiker seit jeher gesagt haben: „Wohlhabende Eliten und große Unternehmen weltweit beeinflussen die Politik zu ihren Gunsten und manipulieren wirtschaftliche Spielregeln in ihrem Sinne.“

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"Wessen Welt?", UZ vom 22. Januar 2016



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