Bei den Protesten gegen das neue Arbeitsgesetz in Paris

Wessen Straße? Welche Richtung?

Von Max Matthes

Die Demonstrationszüge ziehen zum Auftaktort. Hafenarbeiter mit Helmen, Atemmasken und Trommeln. Die Fahnen der CGT wehen überall auf der landesweiten Demonstration gegen das von der Regierung geplante Arbeitsgesetz am 14. Juni in Paris. Delegationen der Gewerkschaften aus allen Regionen. Sie rufen „Alle gemeinsam gegen das Arbeitsgesetz“ und singen die Internationale. 800 000 Demonstranten sind nach Paris gekommen, über eine Million sind es im ganzen Land. Auch die Taxifahrer streiken heute. Der Protest ist unübersehbar – allerdings nicht für die großen deutschen Medien. Sie berichten, wenn überhaupt, über rücksichtslose und fußballfeindliche Gewerkschaften.

In Unterführungen und an Sperrgittern in den Seitenstraßen warten Polizisten. Kollegen erzählen, dass die Polizei sich heute zurückhält – am 1. Mai haben sie genau hier angegriffen. An der Spitze der Demo: Zerbrochene Scheiben, Blut auf dem Boden. An einer Kreuzung fliegen eine Stunde lang Gas- und Blendgranaten, Demonstranten versorgen blutüberströmte Kollegen. Eine Granate trifft einen Jugendlichen am Rücken und verletzt ihn lebensgefährlich. Das ist das Bild, das die linken Medien in Deutschland bestimmt: Entschlossene Kollegen im Kampf gegen die Staatsgewalt.

Vor Ort zeigt sich ein anderes Bild. Die Ordner der CGT grenzen den größten Teil der Demo von einem Block an der Spitze ab. Hier rufen die Demonstranten Sprechchöre gegen Provokateure, manche bejubeln die Polizei. Aber auch in den ersten Reihen wehen Gewerkschaftsfahnen, hier sind die meisten Jugendlichen zu sehen.

Am Abschlussort geht die Polizei in die Demo und nimmt einige Teilnehmer fest. Ordner stellen sich vor die Sondereinheiten der Polizei – mit dem Rücken zu ihnen. Sie weisen ihren Kollegen den Weg zu den Bussen, wollen jegliche Provokation vermeiden. Ihre Masken helfen wenig gegen das Tränengas.

Eine ruhige Demo wollten viele Kollegen – andere Bilder könnte der Staat ausnutzen und die Bewegung schwächen. Auf den Straßen von Paris wird klar, was sie damit meinen. Die sinnlosen Zerstörungen von Provokateuren, die inhaltsleeren Aufrufe der radikalen Linken zu Straßenschlachten isolieren von anderen Teilen der Klasse, sie machen Angst davor, sich an den Protesten zu beteiligen, sie untergraben die Solidarität. Sie spalten.

Wie geht es weiter im Kampf gegen das „Loi Khomri“? Hier zeigen sich die Unterschiede. Die meisten meinen: Das Gesetz kommt durch. Ein Senator der Französischen Kommunistischen Partei (PCF) macht deutlich, dass die Partei nichts vorgeben dürfe: Die Bewegung müsse selbst entscheiden. Ein anderer Genosse sagt: „Sie haben schon verloren“. Vielleicht tauscht die herrschende Klasse ihre Regierung aus, verloren hat sie nicht.

Ein paar Hafenarbeiter unterhalten sich darüber, dass sie beim nächsten Mal bessere Masken und Helme brauchen, um sich gegen Gas und Knüppel zu schützen. Am Abschlussort der Demo versucht der Block der Hafenarbeiter, einigen Kollegen zu helfen, die von der Polizei angegriffen werden. Ordner versuchen sie davon abzuhalten. Gasgranaten fliegen, ein Polizist schlägt um sich. „Man muss Provokationen unterbinden, aber kneifen darf man nicht“, sagt ein Kollege. Es folgt eine Straßenschlacht. Steinplatten fliegen dreißig Meter weit auf Polizeiketten. Die Hafenarbeiter kämpfen Kollegen frei und zeigen, worin die Kraft der organisierten Arbeiterklasse besteht. Andere Demonstranten jubeln. Die französische Elitepolizei CRS kann den Block nicht unter Kontrolle bringen. Einen Sieger gibt es hier nicht, die Kollegen reisen ab. Hier geht es nicht um Gewalt oder „Gewaltlosigkeit“. Es geht um die Frage, wofür die Bewegung kämpft.

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"Wessen Straße? Welche Richtung?", UZ vom 24. Juni 2016



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