Wohin führt der Klassenkampf von oben? – Vertiefung zum Leitgedanken 8

Werte, Inte­ressen, Widerstand

Richard Höhmann

Derzeit diskutieren die Gliederungen der DKP in Vorbereitung des 26. Parteitags zehn Leitgedanken. Der Parteivorstand hat in diesen seine Analyse der Entwicklung des Imperialismus und der Kräfteverhältnisse dargelegt. Im Rahmen der Referatsdiskussion auf dem Parteitag im Juni sollen die kollektiven Diskussionsergebnisse eingebracht werden. Zur Unterstützung der Aneignung der Positionen des Parteivorstands und damit der Herstellung eines einheitlichen Wissensstands in der Partei erscheinen in UZ Artikel zur Vertiefung der einzelnen Leitgedanken. Wir haben die Beiträge hier zusammengefasst.

Die „Kräfte des Widerstands“ sind Thema des Leitgedankens 8. Sie seien zu schwach, zu zersplittert – aber vorhanden. Die Zumutungen des Klassenkampfs von oben sorgten für Empörung bei den Betroffenen. Die Unzufriedenheit der Menschen wachse und „damit das Potenzial der Widerstandskräfte, sich mit dieser Entwicklung nicht abzufinden“.

Zugleich wird nüchtern festgestellt: „Doch durch die ideologische und organisatorische Schwäche der Arbeiterbewegung und ihre Einbindung in die aggressive Politik des Imperialismus findet die Widerspruchsverarbeitung nur im Rahmen der Ideologie des Imperialismus statt. So gelingt es den Herrschenden, die Werktätigen gegen ihre eigenen Inte­ressen in Stellung zu bringen.“

Beredtes Beispiel dafür ist die nahezu widerstandslose Durchsetzung der neuen Kriegskredite („Sondervermögen“). Eine Allparteienkoalition winkt schwindelerregende Summen durch.

Vergleiche mit 1914 drängen sich auf. Auch damals war die SPD vor dem militaristischen Furor eingeknickt. Die Begründung der Zustimmung der SPD zu den Kriegskrediten von 1914 klingt seltsam aktuell und vertraut: „Für unser Volk und seine freiheitliche Zukunft steht bei einem Sieg des russischen Despotismus, der sich mit dem Blute der besten des eigenen Volkes befleckt hat, viel, wenn nicht alles auf dem Spiel. (…) Wir fühlen uns dabei im Einklang mit der Internationale, die das Recht jedes Volkes auf nationale Selbstständigkeit und Selbstverteidigung jederzeit anerkannt hat, wie wir in Übereinstimmung mit ihr jeden Eroberungskrieg verurteilen.“

Nahezu bruchlos passt die Erklärung der SPD von 1914 in das heutige Wortgeklingel.

Wir wissen aus Überlieferungen, dass Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg 1914 verzweifelt waren – isoliert, an den Rand gedrängt. Einige der Wenigen, die sich weder kaufen noch vom propagandistischen Weihrauch benebeln ließen. Aber auch wenn es den Anschein hat: Die Dinge waren weder 1914 unverrückbar und vernagelt, noch sind sie es heute.

Das weiß auch der Chor der Lobbyisten und Politikberater und mahnt, die Gunst der Stunde zu nutzen: „Durch Russlands Krieg gegen die Ukraine haben wir ein Zeitfenster der Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit und in der Bereitschaft, sich mit Verteidigung und Militär auseinanderzusetzen. Das muss die nächste Regierung nutzen, um wichtige Weichen zu stellen, bevor die Stimmung umschlägt“, so Dr. Ulrike Franke vom European Council on Foreign Relations (ECFR).
Die Polittechnologen haben ein feines Gespür für die Labilität der Lage. Was wäre, wenn größere Teile der Bevölkerung erkennen, was Egon Bahr (SPD) – einer der Architekten der „neuen Ostpolitik“ der BRD der 1970er Jahre – 2013 beim Namen genannt hat? „In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte“, so Bahr. „Es geht um die Inte­ressen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“

Beispiel gefällig?

Am 5. März 2025 konnte man in der „Frankfurter Rundschau“ lesen: „Seit Wochen laufen vermutlich geheime Gespräche in der Schweiz, um den Gasfluss von Russland nach Deutschland über Nord Stream 2 wiederherzustellen. Die Grundidee des Deals: Die USA sollen als Zwischenhändler fungieren, um das russische Gas durch Nord Stream 2 nach Mecklenburg-Vorpommern zu leiten. Auf diese Weise könnten die USA die Gasversorgung Deutschlands kontrollieren und dabei finanziell profitieren.“

Die Erzählung, das zivilisierte Europa müsse als Wertegemeinschaft zusammenstehen gegen Donald Trump und andere ungehobelte Potentaten, bekommt Löcher. Das Gerangel zwischen Frankreich, Britannien und Deutschland wird offenkundiger. Es geht um deutsche Führerschaft.

Inzwischen wird auch ganz unverblümt gesagt, was dazu notwendig ist – militärische Stärke. Hatte der unlängst gestorbene damalige Bundespräsident Horst Köhler 2010 wegen seiner Äußerung, dass „auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Inte­ressen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege“, noch für allseitigen Unmut gesorgt und deswegen seinen Hut nehmen müssen, so wurden zehn Jahre später die sogenannten „Leitlinien für den Indo-Pazifik“ beschlossen, mit denen – so die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) – „Deutschland sein Engagement in diesem Raum ausweiten“ wolle, „um dessen gewachsener politischer wie wirtschaftlicher Bedeutung gerecht zu werden“. Vom August 2021 bis Mitte Februar 2022 ließ man dann – als kleine Machtdemonstration – die Fregatte „Bayern“ in diesem Seegebiet herumschippern.

Die Aufrüstung verschlingt gigantische Milliardenbeträge und mit ihnen die Zukunftsinteressen junger Menschen – womit wir wieder beim Thema „Kräfte des Widerstands“ sind. Sorgen um die Zukunft sind ein sensibles Thema bei jungen Menschen.

„Dass viele Menschen auf der Suche nach Antworten auf ihre Probleme und Fragen sind, drückt sich nicht nur in ihrem Wahlverhalten aus“, schreiben wir im Leitgedanken 8. Das traf bei den Bundestagswahlen besonders auf Wählerinnen und Wähler unter 25 Jahren zu. Von ihnen stimmte jeder vierte für die Linkspartei, gefolgt von der AfD mit 21 Prozent. Der Wunsch nach Veränderung ist vorhanden, die Erwartung allerdings nicht groß: In einer Nachwahlumfrage der ARD sagte ein 23-Jähriger: „Ich gehe davon aus, dass es jetzt so weitergeht wie die letzten 20 Jahre.“

Die Generation, die bei dieser Bundestagswahl zum ersten Mal gewählt hat, habe erlebt, dass sich das Leben ganz schnell drehen könne, so eine Expertin in der Wahlanalyse des ZDF. Die Corona-Krise habe diese Generation heftig getroffen und sie habe deswegen „unter Umständen auch ein besonderes Bedürfnis nach ökonomischer, sozialer Sicherheit“. Wie viel kosten meine Lebensmittel – oder finde ich eine Wohnung? Das seien konkrete wirtschaftliche Sorgen junger Menschen, die die Politik ernst nehmen sollte.

Dass davon in den politischen Debatten nach der Bundestagswahl nichts geblieben ist, haben wir erlebt. Die Frage ist, verbreitet sich die Resignation oder werden die Menschen für ihre Inte­ressen aktiv?

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"Werte, Inte­ressen, Widerstand", UZ vom 14. März 2025



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