Zwei Themen für den Bundestagswahlkampf

Werkverträge und Gesundheit

Zunächst die triviale, aber wichtige Ausgangsfeststellung: So eine Krise wie die jetzige verändert die Verhältnisse im Klassenkampf.

Unmittelbar von Nachteil für die Arbeiterklasse (und die anderen beherrschten Klassen) ist der Anstieg der materiellen Not und der Arbeitslosigkeit. Damit steigt die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes und sinkt die Bereitschaft, sich auf Konflikte mit dem Kapital einzulassen und sie erfolgreich durchzufechten. Beispiel: der Verzicht der IG Metall im Frühjahr, in der fälligen Tarifauseinandersetzung auch nur eine Forderung zu formulieren.

Lucas Zeise
Lucas Zeise

Die Krise bringt aber auch Probleme für die Kapitalisten: Bei der Mehrheit sinkt der Gewinn. Die Angst vor der Pleite wächst. Weil es nicht ausreicht, durch Druck auf die Löhne und die Preise der Lieferanten die Profite zu stabilisieren, wird der Staat mobilisiert, um Subventionen zu verteilen und die Wettbewerbsposition gegenüber der ausländischen Konkurrenz zu verbessern. Der Staat greift deshalb zu systemerhaltenden Maßnahmen. Dabei fallen auch Erleichterungen für die arbeitende Bevölkerung ab. Sie sind entweder ohnehin nur temporär oder sie werden, wenn die Krise bewältigt erscheint, wieder zurückgenommen. Gelegentlich kommt es aber dazu, dass brutale Missstände durch die Krise so offensichtlich werden, dass ihre Beseitigung versprochen oder sogar erste Maßnahmen zu ihrer Beseitigung vorgenommen werden.

Ein Fall der zweiten Sorte ist das System der Leiharbeit und Werkverträge. Der Ausbruch der Seuche in einigen großen Schlachtbetrieben hat Arbeitsminister Hubertus Heil dazu veranlasst, in einem Gesetzentwurf dieser Branche den Gebrauch der Werkverträge zumindest in Teilen zu untersagen. Die Hyperausbeutung der großenteils ausländischen Arbeiter in diesen Fleischbetrieben war in der Tat besonders krass, die Überraschung der Regierung darüber aber gespielt. Die Extraausbeutung durch Entrechtung eines Teils der Arbeiter war und ist Ziel der Gesetze, die Leiharbeit und Werkverträge ermöglichten. Sie findet in vielen Branchen einschließlich der von der Regierung besonders geliebten Autobranche statt. Die Arbeiterklasse wird dadurch gespalten, ihre Gewerkschaften werden geschwächt. Das Verbot von Leiharbeit und Werkverträgen muss von den Fleischbetrieben auf alle Branchen verallgemeinert werden.

Ein Fall der ersten Sorte (nur ein Versprechen) ist das Gesundheitssystem. Seine Mängel werden umso deutlicher, je länger das Coronavirus mit uns ist. Dieses System beruht auf der Fiktion, dass der Kranke sich Leistungen (ärztliche Beratung, Behandlung im Krankenhaus oder durch Spezialisten, Arzneimittel, Kuren etc.) einkauft. Um das zu bezahlen, ist er je nach gesellschaftlicher Stellung unterschiedlich versichert. Die Versicherungen handeln die Preise mit den Leistungsanbietern aus. Diese machen, wie auch sonst im Kapitalismus üblich, umso mehr Gewinn, je niedriger vor allem ihre Personalkosten sind. Ein vernünftiges Gesundheitssystem würde das Ziel verfolgen, die Gesundheit der Bevölkerung zu erhalten oder herzustellen, und dazu Ärzte und Pfleger beschäftigen, Krankenhäuser, ambulante und stationäre Pflegedienste unterhalten und Arzneimittel beschaffen. So etwas geht auch im Kapitalismus, wie das Beispiel Großbritannien zeigt, wo der nach dem 2. Weltkrieg geschaffene „National Health Service“ (Gesundheitssystem) einige Jahrzehnte gut funktionierte und sich noch heute, trotz der seit vierzig Jahren betriebenen Schädigung, großer Beliebtheit erfreut.

Hier haben wir zwei Themen von erheblicher wirtschaftlicher und sozialer Bedeutung, bei denen die Viruskrise dafür gesorgt hat, dass Erfolge möglich erscheinen. Wir sollten Programm und Praxis des Bundestagswahlkampfes auf diese Themen konzentrieren.

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"Werkverträge und Gesundheit", UZ vom 28. August 2020



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