Als der damals 36-jährige Heinrich Breloer 1978 seinen TV-Film „Bi und Bibi in Augsburg“ vorlegte, hatte das später von ihm und Horst Königstein kreierte und zu großem Erfolg geführte TV-Format „Dokudrama“ noch keinen Namen. Inzwischen sind „Todesspiel“ (über die Schleyer-Entführung), „Die Manns – Ein Jahrhundertroman“ und „Speer und er“ so sehr zu Breloers Markenzeichen geworden, dass man ihn schon als „Geschichtslehrer der Nation“ bespöttelt hat. Mit dem 187-minütigen Zweiteiler „Brecht“ ist er nun wieder bei Brecht. Nach der Berlinale-Premiere und marginalem Einsatz im Kino kommt „Brecht“ nun zur besten Sendezeit (arte, 22. 3., ARD, 27. 3., jeweils 20.15 Uhr) ins Pantoffelkino. Doch es scheint, als verlange das nun etablierte „Dokudrama“-Format heftig Tribut: mit opulenter Ausstattung, zugkräftigen Stars und TV-gemäßer Züchtigkeit muss es gut in jedes seichte Programm passen.
Das Problem beginnt mit der Spieldauer: Fast dreieinviertel Stunden (mit Pause) waren etlichen Kritikern bei der Berlinale zuviel. Im Fernsehen soll der Ausstrahlung beider Teile (mit oder ohne Pause?) um 23.20 Uhr noch eine Dokumentation folgen, die vielleicht auch das zweite, größere Dilemma des Films anspricht: den Zeitsprung von 14 Jahren und die Doppelbesetzung der Titelrolle. Den jungen Brecht (bis 1933) spielt der viel beschäftigte Mädchenschwarm Tom Schilling (Jahrgang 1982), den radikalen Autor und Theaterrevolutionär in Teil 2 (ab 1947) die „Vaterfigur des deutschen Films“ Burghart Klaußner (Jahrgang 1949). Dass beide somit gut eine Generation älter sind als die jeweils von ihnen gespielte Brecht-Figur und dieser auch nicht physisch ähnlich, ist dabei ein fast belangloser Makel – in Joachim A. Langs „Mackie Messer – Brechts 3Groschenfilm“ machte Lars Eidinger ihn wett durch Brechts Originaltexte (vgl. UZ, 28. 9. 18).
Weit schwerer wiegt, dass Breloers Drehbuch ihre Rollen recht flach und eindimensional anlegt. Schillings jugendlicher Brecht ist ein schmächtiger, arroganter Bengel, jedoch ohne einen Funken jener erotischen Ausstrahlung, die Brechts viele Affären erst erklären könnte. Sein Spiel ist uninspiriert und steif, als ginge es ums Casting für eine Harry-Potter-Rolle, blutleer und lustlos, selbst wenn er Demütigungen austeilt. Das lässt wenig Raum für die Entwicklung seiner literarischen wie politischen Persönlichkeit. Auch Klaußner weiß seinem Brecht kaum Tiefe oder Dynamik einzuhauchen. Ohne detaillierten Einblick in die literarische und wechselseitig inspirierende Zusammenarbeit Brechts mit den Frauen in seiner „Werkstatt“ wirkt Letztere eher wie Brechts Harem. Ebenso unterbelichtet bleiben sein Exil in den USA und sein oft konfliktreiches Verhältnis zu seinem Staat DDR. Dass Breloer für die vielen Affären seines Helden so viel Nachsicht, ja fast Bewunderung zeigt, passt eigentlich auch nicht in die #metoo-Zeit.
Da trifft es sich gut, dass wenigstens diese Frauen von größerem Format sind, die Dargestellten ebenso wie ihre Darstellerinnen. Das Doku-Drama mischt nachgespielte Szenen mit Archivmaterial und (leider undatierten) Interviews und in seinen besten Momenten zieht Breloers Film aus diesem Spannungsfeld zwischen Fiktion und (vermittelter) Realität verblüffende Einsichten. Mala Emde zum Beispiel überzeugt in der Rolle von Brechts erster Liebe Paula Banholzer, aber zu sehen, wie die (1989 verstorbene) reale Paula seine Tagebuchpassagen über ihre Beziehung mit einem kurzen „Der Lügner!“ kommentiert und dabei ein nachsichtiges Lächeln aufsetzt, lässt ahnen, was hier möglich gewesen wäre. Fast beiläufig schildert Breloer eine Szene unglaublicher seelischer Grausamkeit mit Brechts erster Ehefrau Marianne Zoff (großartig: Friederike Becht), als diese ihr gemeinsames Kind verliert. Als Ruth Berlau sehen wir die beliebte Dänin Trine Dyrholm, die junge Helene Weigel wird von Lou Strenger gespielt, während im zweiten Teil Adele Neuhauser brilliert als Brechts zweite Ehefrau und lebenslang wichtigste Partnerin.
Und wo bleibt der politisch wie künstlerisch radikale Brecht, wo seine privaten Ecken und Kanten? Wo bleibt sein Ringen um sein Theater, seine im Wortsinn „umstrittenen“ Stücke? Kameraroutinier Gernot Roll fällt wenig mehr ein als wiederkehrende Kamerafahrten entlang entledigter Kleidungsstücke auf dem Weg zum Bett, Hans Peter Stöers Synthesizer-Musik ist unauffällig, gelegentlich auch störend. Inhaltlich erzählt Breloers „Brecht“ kaum Neues und für ein unvorbereitetes Publikum sind die wechselnden Amouren des Titelhelden kaum zu entziffern. Was bleibt, ist gepflegte, konventionelle und unaufgeregte TV-Unterhaltung zum Feierabendbier, kurz das, was der arme BB am wenigsten verdient hätte.