Im Koalitionsvertrag findet man kein Wort zur Beseitigung der sozialen Ungleichheit im Land, zur stärkeren Besteuerung hoher Einkommen oder großer Vermögen. Zur Beruhigung gibt es aber ein bisschen sozialpolitische Tünche: Dazu gehört die vorgebliche Rückkehr zur Parität. Ab Anfang 2019, so ist es geplant, werden die bislang nur von den abhängig Beschäftigten gezahlten Zusatzbeiträge zu den Krankenkassen zur Hälfte von den „Arbeitgebern“ übernommen.
Die SPD feierte das als ihren Erfolg. Dabei war es schon Kanzler Gerhard Schröder (SPD), der im Jahr 2003 die Parität abschaffen wollte. Damit aber noch nicht durchkam. Durch eine Kopfpauschale („Rürup-Prämie“) sollten – angeblich – vor allem Geringverdiener entlastet werden. Abgeschafft wurde die Parität auf Druck der Unternehmerverbände. Am 12. November 2010 setzten CDU, CSU und FDP im Bundestag ihr Gesetz zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) durch. Entsprechend stieg der allgemeine Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung zum 1. Januar 2011 von 14,9 auf 15,5 Prozent. Abhängig Beschäftigte mussten 8,2, die „Arbeitgeber“ nur noch 7,3 Prozent des Beitrags zahlen. Folgende Beitragssatzerhöhungen mussten die abhängig Beschäftigten alleine finanzieren, der sogenannte Arbeitgeberanteil wurde eingefroren. Die gesetzlichen Krankenkassen konnten zudem von 2012 an Zusatzbeiträge in unbegrenzter Höhe von ihren Versicherten verlangen, die bisherige Obergrenze von einem Prozent des Einkommens entfiel. Vorhergegangen war eine lange Debatte um die „Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft“ und über angeblich zu hohe Lohnnebenkosten.
Die Fraktion der Partei „Die Linke“ im Bundestag kritisierte damals, CDU, CSU und FDP vollzögen einen grundlegenden Systemwechsel in der Finanzierung der GKV: „Mit dem GKV-Finanzierungsgesetz zerschlagen sie die Prinzipien der solidarischen und paritätischen Finanzierung der Gesundheitskosten. (…) Menschen mit geringem Einkommen werden prozentual höher belastet als Gutverdienende.“ Die seitdem im Gesundheitsbereich anfallenden Mehrkosten liegen weitaus höher. So mussten Versicherte allein im Jahr 2017 2,1 Milliarden Euro für Arzneimittel zuzahlen. Ein Trend, der schon seit einigen Jahren anhält. Die Zahl der von der Zuzahlung befreiten rezeptpflichtigen Medikamente hat sich von 2011 bis 2017 fast halbiert. Seit 1. April dieses Jahres sind weitere Medikamente zuzahlungspflichtig. Brillen werden nur in Ausnahmefällen bezahlt usw. Nun soll ab 2019 wenigstens die Parität wieder eingeführt werden.
Doch es gibt Widerstand: Ende November 2017, die neue GroKo stand noch „in den Sternen“, gab BDA-Präsident Ingo Kramer auf dem sogenannten Arbeitgebertag noch einmal die Linie vor: Er rief die künftige Regierung zu einem wirtschaftsfreundlichen Kurs auf: „Finger weg von neuen wachstums- und beschäftigungsschädlichen Gesetzen und Verordnungen.“ Mitte Januar bezweifelte er, dass eine große Koalition ihre Zusage zur Begrenzung der Lohnnebenkosten auf Dauer wird einlösen können. „Das ist eine unserer wichtigsten Forderungen“, erklärte er damals mit Blick auf die Zusicherung der Parteiensondierer, den Sozialabgabenanteil unter 40 Prozent zu halten. Ob dies zu schaffen sei angesichts der sozialpolitischen Verabredungen der Parteien, etwa im Renten- und Krankenversicherungsbereich, stehe in Frage. Kramer warf den Sondierern vor, zu viel für Umverteilung und zu wenig für Zukunftssicherung tun zu wollen. Er warnte, die vereinbarte Rückkehr zur paritätischen Finanzierung in der gesetzlichen Krankenversicherung bedeute eine milliardenschwere Mehrbelastung für Unternehmen, mindestens fünf Milliarden Euro mehr im Jahr. „Fakt ist: Schon bisher tragen wir als Arbeitgeber mehr als die Hälfte der Krankheitskosten.“ Und er forderte: „Wenn wir von wirklicher Parität sprechen wollen, dann müssen wir die Kosten für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall mit einbeziehen.“
Gesundheitsminister Spahn (CDU) plädiert wohl vor allem deshalb derzeit für eine Beitragssenkung durch die Krankenkassen.