Jetzt will auch der Sozialverband VdK eine Zeitenwende. Allerdings nicht – wie 2022 im Bundestag beschlossen – für Aufrüstung und Krieg, sondern für den Sozialstaat. Konkret forderte der VdK-Landesverband NRW in der vergangenen Woche eine Reform der Pflegeversicherung, eine Kindergrundsicherung und Konzepte gegen Altersarmut.
Aus Sicht des Sozialverbands muss der Mindestlohn deutlich angehoben werden, um Altersarmut wirksam zu bekämpfen. Er verweist darauf, dass ein Arbeitnehmer, um eine Rente auf Höhe der Grundsicherung zu erhalten, aktuell bei Vollzeit einen Stundenlohn von 14,56 Euro verdienen muss. Sowohl der aktuelle Mindestlohn von 12,41 Euro als auch die geplante Erhöhung im Januar 2025 auf 12,82 Euro liegen deutlich darunter. Um die gesetzliche Rente darüber hinaus zu stabilisieren, müssten zukünftig auch Beamte, Selbstständige und Politiker dort einzahlen.
Außerdem fordert der Verband eine Kindergrundsicherung und nennt Zahlen der Bertelsmann-Stiftung, nach denen 2,8 Millionen Kinder in Deutschland in Armut aufwachsen. Ein weiterer Reformpunkt ist die Pflegeversicherung. Der hohe Eigenanteil für einen Pflegeheimplatz sei einer der Gründe, warum immer mehr Menschen in die Sozialhilfe abrutschen. Eine Option wäre laut VdK, dass Heimbewohner nur noch die Kosten für Unterkunft und Verpflegung bezahlen müssen. Darüber hinaus wird ein Rechtsanspruch auf Tages- und Kurzzeitpflege gefordert, denn allein in NRW hat sich die Zahl der pflegebedürftigen Menschen seit 2013 auf knapp 1,2 Millionen fast verdoppelt.
Die Politik hat andere Pläne. So erklärte Christian Lindner, dass auf Grund eines Gutachtens zum Haushalt 2025 noch 5 Milliarden Euro fehlen. Es muss – so der Finanzminister – im konsumtiven Bereich gespart werden. Im Klartext: Die Sozialausgaben seien zu hoch. Bereits im ARD-„Sommerinterview“ hatte Lindner behauptet, das Bürgergeld habe die Erwartungen nicht erfüllt und müsse deshalb weiter reformiert werden. Fast zeitgleich sprach sich CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann dafür aus, mehr als 100.000 Menschen das Bürgergeld komplett zu streichen.
Diese Kampfansage an Bürgergeldempfänger ist sicher kein Alleinstellungsmerkmal von Lindner oder Linnemann. Über die Parteigrenzen hinweg befeuern zahlreiche Politiker die mediale Hetze. Dabei sind in der jüngeren Vergangenheit tatsächlich staatliche Leistungen in bedeutendem Umfang an Nichtbedürftige ausgezahlt worden. Es handelt sich dabei jedoch nicht um die ins Visier der neoliberalen Sozialstaatszerstörer geratenen Armen, Alten und Kinder. Von staatlichen Subventionen in Milliardenhöhe profitierten stattdessen die 40 DAX-Konzerne. Und das, obwohl sie in den vergangenen Jahren dreistellige Milliardengewinne erzielt haben. Allein 2023 flossen mindestens 10,7 Milliarden Euro – und damit fast doppelt so viel wie im Vorjahr mit 6 Milliarden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse des „Flossbach von Storch Research Institute“, einer Denkfabrik des gleichnamigen Kölner Vermögensverwalters.
Während die Subventionen bis 2018 bei jährlich rund 2 Milliarden Euro lagen, stieg der Betrag in den Folgejahren stark an. Insgesamt sind von 2016 bis 2023 rund 35 Milliarden Euro staatlicher Gelder an die DAX-Konzerne gegangen. Die höchsten Subventionen hat dabei E.ON mit mehr als 9,3 Milliarden Euro seit 2016 erhalten. Der Großteil geht auf das Strompreisbremsegesetz und Erdgas-Wärme-Preisbremsengesetz zurück und ersetzte Zahlungen von Kunden oder reduzierte Einkaufspreise. Zudem bekam der Energiekonzern diverse staatliche Investitionszuschüsse.
Es folgte Volkswagen mit 6,4 Milliarden Euro. Der Autobauer erhielt unter anderem Steuervergünstigungen und Förderungen für Forschung in der Antriebs- und Digitaltechnik. Auf Platz drei landete BMW mit 2,3 Milliarden Euro. Darunter fielen Zuschüsse für den Bau von Standorten.
Angesichts der Dimension staatlicher Alimentierung „notleidender“ DAX-Konzerne kommt einem bei der modernen Hexenjagd gegen sogenannte „Totalverweigerer“ Bertolt Brecht in den Sinn: „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“