Das Urteil des Verwaltungsgerichtes Kassel, welches Anfang Oktober alle Anträge der Antifaschistin Silvia Gingold auf Löschung der über sie geführten Verfassungsschutzakte sowie auf Einstellung ihrer geheimdienstlichen Beobachtung ablehnte, hat vielerorts zu deutlicher Kritik und Unverständnis geführt. Die Tochter der verstorbenen Widerstandskämpfer und Kommunisten Etti und Peter Gingold hatte gegen das Hessische Landesamt für Verfassungsschutz auf Beendigung ihrer fortgesetzten geheimdienstlichen Beobachtung und auf Vernichtung entsprechender Akten geklagt (UZ berichtete). „Das Skandalurteil des Verwaltungsgerichts Kassel über die Rechtmäßigkeit der weiteren Beobachtung von Silvia Gingold durch den Verfassungsschutz sagt weniger etwas über die Gesinnung der Friedensaktivistin und Antifaschistin aus, als über die Verfasstheit des bundesdeutschen und insbesondere des hessischen Staatsapparates. Überraschen kann das nicht. Haben doch maßgebliche Initiatoren der völkisch-nationalistischen AfD ihre Wurzeln im Stahlhelmflügel der Hessen-CDU. Es ist nicht verfehlt, dieses Urteil als Inbegriff der Klassenjustiz zu bezeichnen. Denn hier sichert sich die herrschende Klasse gegen Kritik von links ab“, kritisierte die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke (Linkspartei).
„Friedenspolitik, Gewerkschaftsarbeit und vor allem Antifaschismus widersprechen nicht dem Grundgesetz, sondern sind als ausdrückliche Freiheitsrechte nicht nur erwünscht, sondern – vor allem in unserer Zeit – ausdrücklich geboten. Umso entlarvender ist es, dass genau deswegen Silvia Gingold vom Inlandsgeheimdienst – vulgo: Verfassungsschutz – beobachtet wird. Und die Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens jetzt vom Kasseler Verwaltungsgerichtshof bestätigt wurde. Manchmal frage ich mich, welche Verfassung die eigentlich schützen, die nach oder vor 1945“, erklärte der Vizepräsident des hessischen Landtages, Ulrich Wilken.
Silvia Gingold selbst reagierte „fassungslos und empört“ auf den Urteilsspruch, der angeblich im Namen des Volkes gefällt wurde. „Auf dem Hintergrund meiner Familiengeschichte habe ich die durch meine antifaschistische Grundhaltung geprägte Einstellung zum Grundgesetz ausgedrückt und betont, dass mein bisheriges politisches Wirken darauf gerichtet war und ist, die Grund- und Menschenrechte zu verteidigen und alle gegen die Verfassung gerichteten rassistischen, ausländerfeindlichen und das Asylrecht in Frage stellenden Bestrebungen zu bekämpfen, wie es die Verfassung gebietet und wie ich dies als meine Pflicht ansehe“, kritisiert Gingold in einer persönlichen Stellungnahme. „Eine antikapitalistische Haltung wird gleichgesetzt mit der Ablehnung der parlamentarischen Demokratie und somit als „linksextremistisch“ diffamiert. Dieses Urteil beschädigt nicht nur das Ansehen meiner Person. Es richtet sich gegen demokratisch engagierte Bürgerinnen und Bürger die sich gegen Kriege, gegen Rassismus, Neonazismus und Nationalismus zur Wehr setzen. Diesen Aktivitäten wird der Stempel des ‚Linksextremismus‘ aufgedrückt und damit dem VS der Freibrief ausgestellt, diese Personen zu bespitzeln und Daten über sie zu sammeln und zu speichern. Angesichts des Umgangs mit dem Rechtsterrorismus und den NSU-Morden, deren Aufklärung der Inlandsgeheimdienst behindert, da er selbst darin zutiefst verstrickt ist, empfinde ich das als Skandal. Wer schützt mich vor dem Verfassungsschutz? Das Gericht hat es nicht getan“, stellte Gingold klar. Sie kündigte an, das Urteil anfechten zu wollen.