Zum Buch: „Verfassungswidrig! Das KPD-Verbot im Kalten Bürgerkrieg“

Wer schreibt unsere Geschichten neu?

Von Walter Bauer

Josef Foschepoth. Verfassungswidrig! Das KPD-Verbot im Kalten Bürgerkrieg. Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen. 2017

Wenn die Begriffe „KPD-Verbot“ und „verfassungswidrig“ im Titel eines neu herausgegebenen Buches auftauchen, das noch dazu von einem renommierten Wissenschaftsverlag veröffentlicht wird und für 40 Euro Verkaufspreis auf den Büchermarkt kommt, könnte man davon ausgehen, dass es sich um eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem KPD-Verbot handelt. Diesen Eindruck verstärkt der Ankündigungstext für das Buch, das 500 Seiten umfasst: „Auf der Grundlage bislang nicht zugänglicher Staatsakten belegt der Autor Prof. Dr. Foschepoth, Historiker und Publizist: ‚Das KPD-Verbot war verfassungswidrig’“ und dieses „Verfahren wirkte wie ein Brennglas für den nationalen Kalten Bürgerkrieg der 1950er und 1960er Jahre“, den der Autor erstmals analytisch vom internationalen Kalten Krieg unterscheidet, und in „einem umfangreichen Dokumententeil werden die bislang unter Verschluss gehaltenen hochbrisanten Dokumente erstmals der Forschung und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.“

Trotz Ankündigung neuer Erkenntnisse und Enthüllungen, die aber so überraschend neu nicht sind, geht es dem Autor offenbar weniger um Aufklärung, sondern schlicht und einfach um die ideologische Deutungshoheit in Bezug auf die Nachkriegsgeschichte. Dabei werden SED, KPD und DKP als „Bürgerkriegsparteien“ gesehen. Zwar dient das KPD-Verbot als Einstieg. Doch die zentrale Themenstellung Foschepoths gilt dann mehr den Fragen: Wie kann man heute die parallele Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (BRD) und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) in den 1950er und 1960er Jahren schreiben? Und: Wie kann der historische „Ausrutscher DDR“ wieder ins Gesamtbild der Geschichte Deutschlands zurückgeholt werden?

Trotz vieler Themen, die der Autor anschneidet, geht es ihm im Wesentlichem dabei auch um eine aggressivere Deutung der Rolle der KPD und DKP, die „Westpolitik“ für die SED gemacht haben. Eine für sein Denken charakteristische These des Autors ist: Die KPD im Westen scheiterte an der SED im Osten. Warum? Im Vorwort wird betont „Für die DDR war die KPD wie für die Bundesrepublik ein wichtiges Instrument im Kalten Bürgerkrieg“ und erst „als beide Seiten zu einem ‚Waffenstillstand’ bereit und an einer Fortsetzung des Konflikts nicht mehr interessiert waren, ließen sie die KPD fallen. Sie hatte ihre Schuldigkeit getan, konnte und musste jetzt gehen.“

Der „innerdeutsche Kalte Bürgerkrieg“ und die KPD/DKP

Der Autor konzentriert sich in seinen Thesen nicht auf die Systemkonkurrenz von DDR und BRD. Er sieht stattdessen den Konflikt im Bemühen der SED, im Westen mehr Einfluss über ihre „Kampforganisationen KPD und DKP“ in der BRD zu gewinnen. Es sind dabei zwei Gedankenstränge, die strikt verfolgt werden und seine Interpretation der damaligen Ereignisse bestimmen:

Erstens: Die Betonung der Rolle der KPD/DKP als Kampforganisationen der SED gegen die Bundesrepublik. Nach seiner Meinung reagierte Adenauer mit „undemokratischen“ Mitteln und mit Druck auf die Justizorgane, um gegen die Kommunisten in West und Ost vorzugehen. Für den Autor verläuft dennoch die Entwicklung der Demokratie beider Staaten in gegensätzliche Richtungen. Einerseits räumt er Fehler, Verfassungswidrigkeiten wegen überspitzter Angst vor dem Kommunismus in der Aufbauphase der Bundesrepublik ein: „Nach meinen bisherigen Erkenntnissen ist die Situation folgende, dass das Bundesverfassungsgericht keineswegs in den Anfangsjahren die unabhängige Instanz gewesen ist, wie wir sie heute wahrnehmen.“ Die Bundesrepublik habe aber diese Fehler in den 60er Jahren korrigiert. Gleichzeitig distanziert er sich von den Einschätzungen des KPD-Verbotsprozesses durch die Kommunisten: „Zudem liegen sie (seine neuen Erkenntnisse – W. B.) nicht auf der Linie, mit der schon die Prozessvertreter der KPD versucht haben, die Verfassungswidrigkeit des KPD-Prozesses zu begründen.“ In der Zeit nach dem Verbot habe die SED ihre „Untergrundarbeit“ mit der KPD und der DKP immer weiter ausgebaut und sich gleichzeitig zu einer autoritären Parteidiktatur entwickelt, was sich in der Struktur der KPD und DKP widerspiegelte.

Zweitens: Die KPD und später die DKP waren „wirkungslose“ Einwirkungsinstrumente der SED/DDR auf die Bevölkerung der BRD. Die KPD wurde nach dem Abklingen des Kalten Bürgerkrieges (mit dem Eintritt der SPD in die Regierung der BRD) und deren Entspannungspolitik durch die DKP (mit jungen, SED-geschulten Kadern) ausgewechselt. „Wie ist aus einer revolutionären Bewegung am Ende der Ersten Weltkriegs eine vom Willen der SED abhängige und von ihr bis ins Kleinste gesteuerte kommunistische Kaderpartei geworden?“ Da öffnet der Autor kurz sein Herz für die alte Milieu-Kommunistische-Partei in den Traditionen der Weimarer Republik. Er setzt sie in Gegensatz zur kalten, berechnenden Ost-Kader-Partei, die ihre Wurzeln im Moskauer Exil hatte und unter der Obhut Moskaus auch die Geschicke in der Bundesrepublik lenken wollte. Da dies aber nicht mit den Traditionen der Weimarer KP kompatibel war, trug sie „so zum Zerfall des Kommunismus in der Bundesrepublik bei“. Die West-KPD habe immer noch ihr legales Parteileben, ihre Familientraditionen, ihre (fast schon sozialdemokratisierte) Arbeitsweise und Kultur besessen. Durch den Zwang zur illegalen Tätigkeit unter der Tarnung legaler Arbeit in der Bevölkerung und Betrieben, durch die Anleitung mittels fremder Kader usw. wurde die West-KPD zerstört. Dabei wird von ihm der KPD/DKP immer wieder unterstellt, sie wäre durch die bedingungslose Unterstützung der Politik der DDR/SED und der Sowjetunion im eigenen Lande unglaubwürdig geworden. Im Zusammenhang mit ihrer eigenständigen Politik für die BRD hätte die SED der KPD und DKP zudem die Existenzgrundlage entzogen.

Der Autor versucht seine sehr widersprüchliche Theorie auf den Punkt zu bringen: „Die KPD lebte als Instrument des Kalten Bürgerkriegs – im Westen verfolgt, vom Osten gesteuert – bis 1969 weiter“ und nicht „dem Kalten Krieg, dem internationalen Konflikt, sondern dem Kalten Bürgerkrieg, dem nationalen Konflikt um die doppelte Staatswerdung in Deutschland, verdankt die KPD ihre relative Langlebigkeit und historische Bedeutung. Erst als beide Seiten zu einem ‚Waffenstillstand’ bereit und an einer Fortsetzung des Konflikts nicht mehr interessiert waren, ließen sie die KPD fallen (…) Sie hat ihre Schuldigkeit getan, konnte und musste jetzt gehen.“ Das sind seine Kernaussagen über die historische Bedeutung der KPD. Der Autor stellt sich im Zuge der Forderungen nach einer legalen KP in der Bundesrepublik 1968 und den damaligen Diskussionen die Frage: „War das nicht ein günstiger Moment, um Reimann und seine Altkommunisten aus der Weimarer Zeit endgültig loszuwerden? Brauchte man nicht eine Partei, die williger und unterwürfiger den Kurs der SED gutheißen und unterstützen würde als die KPD, die sich deutlicher denn je von der SED emanzipieren wollte?“ „Gleichsam über Nacht entschied sich das Politbüro der SED dafür, mit jüngeren und verlässlicheren Genossen aus der KPD eine neue Partei in der Bundesrepublik zu gründen.“ Deshalb steht für den Autor fest: „Auch die DKP war und blieb eine kommunistische Kaderpartei, wie ein Blick in die Akten der SED, die den gesamten Gründungsprozess der DKP geplant, kontrolliert und bis ins kleinste hinein gesteuert hat, belegt. Auch den jüngeren Kommunisten der zweiten und dritten Reihe waren der Glaube und die Hoffnung auf eine proletarische Revolution und die Diktatur des Proletariats nicht verloren gegangen. Kamen doch die neuen DKP-Mitglieder zumeist aus der KPD. Auch die neuen Funktionäre hatten die Kaderschule der SED durchlaufen.“

Lernfähig in Sachen Demokratie

Der BRD bescheinigt er Lernfähigkeit in Sachen „Demokratie“. 1969 erklärte die Bundesregierung (Große Koalition von SPD und CDU/CSU): „Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die extremen Strömungen und radikalen Parteien in der Bundesrepublik, (…) in offener Ausein­andersetzung politisch bekämpft werden müssen. Sie geht dabei von der Gewissheit aus, dass die radikalen Gruppen Randerscheinungen der deutschen Demokratie sind und auch bleiben werden, weil die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung den Radikalismus in jeder Form ablehnt.“ Foschepoth vertritt die Überzeugung, „mit dieser Erklärung des Kabinetts war der Mechanismus von rechts gleich links von 1951 aufgehoben und das Ende des Kalten Bürgerkrieges in Deutschland besiegelt. Ob tatsächlich der Kalte Bürgerkrieg zu Ende war, wenn eine Seite die Waffen streckte, konnte nur die Zukunft zeigen. Die Bundesrepublik hatte jedenfalls mit der Reform des politischen Strafrechts, der Amnestie für Kommunisten und der Bereitschaft, die Gründung einer neuen kommunistischen Partei zu akzeptieren, einen enormen Sprung auf dem Weg nach mehr Rechtsstaatlichkeit, mehr Liberalität und mehr Demokratie getan. Die DDR nahm eine entgegengesetzte Entwicklung.“ Der DDR bescheinigt er Lernunfähigkeit und Totalitarismus.

Viele historisch wichtige Fragen streift der Autor in diesem Zusammenhang nicht einmal. Zum Beispiel vermeidet er die Frage: Für welche Politik standen die KPD und später die DKP programmatisch? Für ihn steht fest, sie standen und stehen gegen die Bundesrepublik Deutschland. Die Begriffe „Klassenkampf“ und „Kampf für den Sozialismus“ spielen in diesem Buch keine Rolle. Es war allein ein „Kalter Bürgerkrieg“ zwischen zwei deutschen Staaten. Auch der Idee der „Solidarität zwischen kommunistischen Parteien“, der Verweis auf ihre gemeinsamen Wurzeln und ihre Geschichte waren offensichtlich keine nützlichen Themen für seine „Untersuchung“.

Noch einmal zurück zu seinen Enthüllungen. Man kann dieses Buch auch so interpretieren: Foschepoth bestätigt vieles, was die KPD und später die DKP schon von Anfang an über die undemokratische und verfassungswidrige Behandlung sowie die willkürlichen Repressionen gegen die KPD und deren Mitglieder durch die Justiz und andere Staatsorgane veröffentlicht haben. Dennoch bürdet er die ursächliche Schuld am Kalten Bürgerkrieg der SED auf: „Die SED hatte die Führungshoheit der kommunistischen Bewegung in ganz Deutschland errungen und auch gegen jeglichen Zweifel verteidigt.“

Dürftige Nachweise

Es geht hier auch um seine eigenwillige Deutung von Einzelereignissen, deren er eine grundsätzliche Aussagekraft unterlegt. Wir sind ja schon vieles von bürgerlichen Historikern gewöhnt. Doch die Art und Weise z. B., wie aus zwei Sätzen einer Sitzungs-Mitschrift die ganze Politik und Praxis der SED, KPD und DKP als Diktat der SED interpretiert und konstruiert wird, ist schon sehr fragwürdig. Auf jeden Fall keine wissenschaftliche Leistung. Durch seine festgefahrene Position verwechselt er auch die sicherlich scharfen Diskussionen in der Führung der KPD und mit der SED, als „Krise der Abhängigkeit“ und nicht als selbstverständliche Diskussionen 1968 über den richtigen Weg zur Legalisierung der KPD in der BRD. Abhängigkeit ist für ihn gesetzt. Die DKP ist für ihn deshalb auch gekennzeichnet durch „treue Kader“ und „ausgebildet durch die SED“.

Die Meinung der SED zählte natürlich unter den Genossen beider deutschen Arbeiterparteien. Warum nicht? Eine solidarische Zusammenarbeit von KPD und DKP mit der SED muss und kann man nicht leugnen. Das Gegenteil wäre auch mit Blick auf die gemeinsamen Wurzeln, Grundlagen und Geschichte nicht zu verstehen. Dennoch wird daraus die Vorherrschaft der SED konstruiert. Einmal „arbeitete die SED mit Hochdruck an der Neukonstituierung der Partei“, ein anderes Mal ist es ein „Arbeitsbüro“, das „im Politbüro (SED) für die Steuerung der KPD“ zuständig war. Dokumentiert wird all dies sehr dürftig. Doch Diskussionen, Absprachen, Meinungsverschiedenheiten bis zum Streit um die zukünftige Organisierung der Kommunisten in der Bundesrepublik ist eigentlich auch ein Zeichen des Ringens um eine kollektive Meinung. Ich kann einem Kollegen des Autors, Dominik Rigoll, nur zustimmen, der anhand Foschepoths im letzten Jahr erschienenem Buch zum Thema „Überwachung“ die Arbeitsweise des Autors kritisiert: „Eine Schwäche des Buches ist, dass Foschepoth diese durchaus nachvollziehbaren übergreifenden Deutungen nicht mit Quellenbelegen stützt.“

1968 und die DKP im Dunstfeld der „Aufarbeitung der DDR-Diktatur“

Manche Genossin und mancher Genosse mag jetzt sagen, was kann man von bürgerlichen Historikern anders erwarten? Doch das ist leider kein Einzelfall. Es ist eine Neueste-Zeit-Historiker-Gruppe, die meinungsbildend wirkt. Sie ergänzen den „Forschungsverbund zur Aufarbeitung der DDR-Diktatur“ mit der „Aufarbeitung“ der Geschichte der West-KPD und der DKP. Die Thesen des Autors und ähnliche werden uns leider noch länger begleiten. Mit dem Verschwinden der sozialistischen Staaten ist die Angst der Herrschenden vor radikalen Veränderungen nicht geringer geworden.

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"Wer schreibt unsere Geschichten neu?", UZ vom 24. November 2017



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