Auf großen Druck der Öffentlichkeit hatte die von millionenschweren Maskendeals und Aserbeidschan-Affären gebeutelte Große Koalition das mit heißer Nadel gestrickte Gesetz zur Einführung eines Lobbyregisters auf den Weg gebracht. Seit dem 1. Januar 2022 ist es in Kraft und inzwischen kann Bilanz gezogen werden. Die aktuellen Zahlen liefern Beweise für die schon seit Jahrzehnten gehegte These, der Inhalt von Gesetzen und Verordnungen werde nicht von „nur ihrem Gewissen verpflichteten“ Abgeordneten in den Rechtsausschüssen des Bundestags geschrieben, sondern von Industrie- und Interessenverbänden diktiert.
Zum Stichtag am 23. September weist das Register 6.083 Lobbyorganisationen auf, für die insgesamt 32.893 Einzelpersonen Tag für Tag mit nichts anderem beschäftigt sind als die Interessen ihrer Auftraggeber an Regierungsstellen durchzudrücken. Die Lobby-Branche boomt. In einer aktuellen Stellenbeschreibung für angehende „Lobbyisten (m/w/d)“ liest man: „Sie organisieren regelmäßige Treffen mit Politikerinnen und anderen Entscheidungsträgerinnen. Als Politikberaterin benötigen Sie starke kommunikative Fähigkeiten und ein überzeugendes Auftreten, um die Aufmerksamkeit von Politikerinnen zu gewinnen und ihnen Ihre Anliegen auf eine klare und überzeugende Weise darzustellen.“ Um welche Anliegen es da geht und wie viel sich damit verdienen lässt? Dazu reicht ein Blick auf die Hitliste der zehn größten Auftraggeber und ihres jeweiligen Lobby-Etats (in Millionen Euro): Volkswagen (inklusive Audi und Porsche): 10,14, Mercedes-Benz: 4,08, BASF: 3,8, Deutsche Bank: 3,57, SAP: 3,5, Axel Springer: 3,14, EON: 3,04, Google: 3,0, Siemens Energy: 2,99 und Uniper: 2,91.
Längst geht es den Lobby-Akteuren nicht mehr nur um direkte und indirekte Beeinflussung von Gesetzesvorhaben und Regierungsprojekten (im Lobby-Jargon: „proaktives Agenda-Setting“), sondern auch um das tagtägliche Abschöpfen von Informationen „aus erster Hand“, die dem Auftraggeber dienlich sein können. Der frühe Vogel fängt den Wurm. Zielobjekte der Lobbyisten sind dabei weniger die politischen Repräsentanten und leitenden Ministerialbeamten, effektive Beeinflussung und Gesetzes-Ghostwriting sucht sich seinen Weg eher direkt in die Büros der Referenten. Hier werden Texte und Konzepte umgesetzt, hier macht das legislative Fußvolk seine Arbeit. Und genau hier liegt der blinde Fleck des Lobbyregisters. Es legt zwar offen, welche Lobbyorganisationen im Regierungsviertel generell unterwegs sind, aber welche Akteure in welchem Bereich konkret mit welchen Zielpersonen in Kontakt stehen, bleibt im Dunkeln. Ebenso der finanzielle Aufwand, der hierzu eingesetzt wird.
Eine beliebte Methode, um zu verdecken, wer tatsächlich hinter dem beauftragten Lobbyisten steht, ist die „Kettenbeauftragung“. Aufträge werden von Lobbyorganisation zu Lobbyorganisation weitergereicht. Die Ampel-Koalition hatte auf vielfache Kritik von Organisationen wie „Lobby-Control“ und „abgeordnetenwatch“ im Juni dieses Jahres einen Gesetzentwurf zur „Nachschärfung“ des Lobbyregisters vorgelegt. Am 19. September lud sie zur Expertenanhörung. Die Kritik war heftig: Weiterhin werde durch das Register nicht offengelegt, „mit wem genau aus Parlament, Regierung und Ministerien“ der Lobbyist zusammentrifft und sich austauscht. Kontakte mit der Referentenebene, die für die gesetzgeberischen Feinheiten zuständig ist, müssen nach wie vor nicht aufgedeckt werden. Damit sei der „legislative Fußabdruck“, den die Lobbyarbeit hinterlasse, für Außenstehende nicht erkennbar.
Der „Verband der chemischen Industrie“ bekundete in seiner Stellungnahme andere Sorgen: Zu weitgehende Transparenz beeinträchtige die „Berufsfreiheit“, schon der Registrierungsaufwand koste viel Zeit und damit Geld. Eine naheliegende Frage wurde in der Anhörung indessen nicht gestellt: Welche Lobbyisten beteiligten sich eigentlich am Gesetzentwurf zur Reform des Lobbyregisters?