Wer nicht zahlt wird enteignet

Lars Mörking zum Mindestlohn

6,7 Millionen Erwerbstätige verdienten im letzten Jahr unter 8,50 Euro pro Stunde, wenn die reale Arbeitszeit zugrunde gelegt wird – das stellt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) in seiner aktuellen Studie fest. 1,8 Millionen von ihnen hätten einen gesetzlichen Anspruch auf den Mindestlohn gehabt. Doch die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit entspricht häufig nicht der tatsächlichen. Dazu kommen alle möglichen und unmöglichen Tricks, die die Unternehmer sich ausdenken, um keine 8,50 Euro (seit 2017 8,84 Euro) zahlen zu müssen. Neben unbezahlten Überstunden werden z. B. Kosten für Arbeitsmaterialien auf die Beschäftigten abgewälzt oder einfach der Druck erhöht: Schaff das Gleiche in kürzerer Zeit, dann hast du deinen Mindestlohn.

Besonders betroffen von dem Versuch der Unternehmen, den Mindestlohn zu unterlaufen, sind Mini-Jobber, Beschäftigte in kleinen Firmen und Kolleginnen und Kollegen ohne deutschen Pass. Generell werden Frauen eher von Unternehmen um den Mindestlohn betrogen als Männer und Beschäftigte im Osten eher als im Westen. Wird die tatsächliche Arbeitszeit berücksichtigt, verdienen 13 Prozent aller Frauen, denen der Mindestlohn zusteht, weniger – bei den Männern sind es sechs Prozent. Sogenannte geringfügig Beschäftigte werden zu 43 Prozent gesetzeswidrig niedrig entlohnt.

Soviel zum Ausmaß krimineller Energie, den die Kapitalseite an den Tag legt. Aber das Problem sind nicht nur die massiven Verstöße gegen den gesetzlichen Mindestlohn. Der Geltungsbereich des Gesetzlichen Mindestlohns muss dringend ausgeweitet werden. Es ist egal, ob es sich um sogenannte ungelernte Arbeitskräfte, Auszubildende oder Scheinselbstständige handelt: Ein Mindestlohn ergibt nur dann Sinn, wenn alle ihn mindestens bekommen – er muss für alle gelten. Und da 8,84 Euro vorne und hinten nicht reichen – jetzt nicht und schon gar nicht für die Rente – fordert die DKP eine sofortige Erhöhung auf 12 Euro.

Großkonzerne und auch öffentliche Arbeitgeber dürfen sich dem nicht entziehen können, in dem sie z. B. Aufträge an Firmen vergeben, die den Mindestlohn umgehen. In diesem Fall heißt es dann häufig: Wir wussten von nichts. Aber auch vorgetäuschte Unwissenheit schützt nicht vor Strafe. Wenn das deutsche Kapital ständig in Konflikt mit geltenden Gesetzen gerät, dann können wir nur sagen: Wer nicht einmal das Mindeste zahlt, der gehört enteignet.

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"Wer nicht zahlt wird enteignet", UZ vom 15. Dezember 2017



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