Wir setzen gerade alles daran, zur Normalität zurückzukehren“, begründete Jan-Marco Luczak, Rechts- und Verbraucherpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, das Auslaufen des coronabedingten Mieterschutzes zum 30. Juni. „Schutz“ ist allerdings ein zu großes Wort für die gestoppte Maßnahme. Mieterinnen und Mieter, die durch die Pandemie in Kurzarbeit landeten oder ihre Arbeit verloren und die Kosten für ihre Wohnung in der Zeit von April bis Juni 2020 nicht aufbringen konnten, erhielten für zwölf Wochen Kündigungsschutz. Die fehlende Miete wurde nicht etwa erlassen, sondern gestundet. Sie muss bis zum 30. Juni 2022 zurückgezahlt werden – mit Zins und Zinseszins.
Gleich mitentsorgt wurde der Zahlungsaufschub für private Kredite und existenzsichernde Verträge der Grundversorgung – Energie, Wasser, Telefon, Internet. Zurück zur Normalität bedeutet, die Angst vor Strom- und Gassperren gehören für Arme wieder zum Alltag – 2018 wurde laut „Tagesspiegel“ 344.000 Haushalten der Strom abgedreht – und nach einem Monat und einem Tag Mietrückstand wird wieder gekündigt, rausgeschmissen und geräumt.
Zur Normalität gehören auch folgende Daten: Die Bundesanstalt für Arbeit (BfA) meldete zum 1. Juli den Anstieg der Anzahl der Arbeitslosen im Vergleich zum Vorjahr um 637.000 auf jetzt 2.853.000. Die Anzahl der geringfügig Beschäftigten wuchs um 439.000 auf jetzt 3.604.000. Im April des Jahres zahlte die BfA an 6,83 Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter Kurzarbeitergeld. Selbst die Standesvertretung der Vermieter „Haus und Grund“ erklärte nach einer Mieterbefragung, dass 6,9 Prozent ihrer Mieter – umgerechnet etwa 1,6 Millionen Haushalte – angaben, ihre Miete nicht mehr zahlen zu können. 17,6 Prozent hätten erklärt, sie seien unsicher, wie lange sie ihre Miete noch zahlen können. Für Kleingewerbetreibende ist die Situation keinen Deut besser.
Das „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie“ hatte der Bundestag am 27. März verabschiedet. Das Justizministerium ließ sich am gleichen Tag die Ermächtigung erteilen, diese Frist per Rechtsverordnung zu verlängern, „sollte sich herausstellen, dass der Zeitraum von April bis Juni 2020 nicht ausreichend ist, um die wirtschaftlichen Folgen der Krise abzufedern“. Noch am 17. Juni hatte das „Handelsblatt“ aus dem Umfeld von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) gemeldet, dass „eine entsprechende Rechtsverordnung“ auf dem Weg sei. Acht Tage später verkündet Finanzminister Olaf Scholz (SPD) in seiner Rede auf dem Tag der Immobilienwirtschaft, dass sich der Staat nicht nur um die Lufthansa kümmere, sondern auch um die kleinen Leute in Schwierigkeiten. Die dürften „nicht einfach rausgeschmissen werden“. Wenige Stunden später strandete die Rechtsverordnung und damit auch die Verlängerung des Kündigungsschutzes im Kanzleramt. Die SPD murrte kurz, gab klein bei und fügte sich.
Die Warnung von Sozialverbänden, dass sich das ganze Ausmaß der Krise erst in den kommenden Monaten zeigen werde, perlte an der Bundesregierung ab. Der Deutsche Mieterbund warnte am 30. Juni vor einer Kündigungswelle in den kommenden Monaten. Die Lage der Mieter verschärft sich zusätzlich durch weiter steigende Mieten: in der Zeit vom 1. März bis 30. Juni 2020 verteuerte sich die Miete zum Beispiel in Leipzig um 11,2 Prozent, in Dresden um 7,5 Prozent, in Dortmund um 6,7 Prozent. Wer nicht zahlt – egal warum –, fliegt.
Das hat System. „Es gibt keinen Grund, die Miete nicht zu zahlen, auch wenn kein Geld da ist“, stellte der Bundesgerichtshof in einer Grundsatzentscheidung fest. Die Leistungsunfähigkeit aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten befreie den Schuldner auch dann nicht von den Folgen nichtgeleisteter Zahlungen, wenn sie unverschuldet sei.