Blinde Flecken in der Berichterstattung über Marschflugkörper für die Ukraine

Wer liefert Daten für den Taurus?

Bernhard Klaus

Seit Wochen wird in Deutschland eine Debatte nach bekanntem Muster geführt. Wieder geht es um ein Waffensystem, das die ukrainische Regierung von Deutschland einfordert, diesmal um den Marschflugkörper Taurus. Wieder wird dem Kanzler Zögern vorgeworfen und auf verbündete Regierungen verwiesen, welche ähnliche Waffensysteme bereits an die Ukraine geliefert hätten. Ende September wurde die Debatte um eine Facette reicher, nachdem angedeutet worden war, dass der Marschflugkörper sein Ziel auf der Grundlage von Geodaten ansteuert, die man dann ebenfalls der Ukraine zur Verfügung stellen müsse – oder die Zielprogrammierung müsse durch Bundeswehrsoldaten erfolgen. In diesem Zusammenhang wurde dann auch die Fragestellung aufgeworfen, ob die Lieferung der Taurus-Raketen nicht ein Bundeswehrmandat voraussetzen würde, da es sich damit um einen „Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland“ handeln könnte.

Die technischen Voraussetzungen sind kompliziert. Viele Medien suggerieren eher beiläufig, man könne im entsprechenden Datensatz einfach das Territorium der Ukraine isolieren und die Marschflugkörper mit diesem eingeschränkten Datensatz liefern. Genau zu wissen, ob das funktioniert, scheint jedoch niemand in der schreibenden Zunft. Die FAZ, welche die Frage um die Mandatspflichtigkeit – dankenswerterweise – am 21. September unter dem Titel „An der Grenze zur Konfliktpartei“ wesentlich mit angeschoben hatte, versuchte sie mit dem Verweis auf anonyme „französische Sicherheitsfachleute“ wenige Tage später wieder zu entschärfen. Diesmal unter dem Titel „Kein Verständnis für das deutsche Zögern“ wird dort verlautbart: „Die Ukraine verfüge bereits über alle relevanten Geodaten und äußerst agile Programmierer, heißt es in Paris.“

Eine Suche in den mir zugänglichen Printpublikationen vom 27. September zu den Begriffen „Taurus“, „Mandat“ und „Geodaten“ jedenfalls liefert ein trauriges Bild der hierzulande bestehenden Meinungsvielfalt. Von den 22 Treffern tragen 17 den Titel „Nur eine Frage der Zeit“ und weitere vier den Titel „Kiew braucht die Taurus-Raketen“. In beiden Fällen handelt es sich um nahezu inhaltsgleiche Leitartikel desselben Autors, Holger Möhle, der unter anderem vom Bonner Generalanzeiger und der Rheinischen Post als Berlin-Korrespondent genannt wird. Sein Leitartikel erschien darüber hinaus in der Nordwest-Zeitung, der Saarbrücker Zeitung, dem Wiesbadener Kurier, der Oberhessischen Zeitung und so weiter. „Deutschland wird Taurus liefern“, heißt es in dem Beitrag. Es sei nur eine Frage der Zeit. Und: „Wenn damit der Krieg verkürzt und vielen Menschen zusätzliches Leid erspart werden kann, ist die Entscheidung ohnehin richtig.“ Solche Behauptungen basieren letztlich auf der Vorstellung eines schnellen Durchmarsches der ukrainischen Armee bis zum vollständigen Rückzug der russischen Armee – ein Szenario, das letztlich so gut wie niemand als auch nur halbwegs realistisch einstuft. Vielmehr gehen auch westliche Regierungen und Denkfabriken offen davon aus, dass es sich längst um einen Abnutzungskrieg handelt, der noch sehr lange dauern könnte und wahrscheinlich auch wird.

Zurück zu den Taurus: herausragendes Merkmal ist nicht nur ihre große Reichweite, sondern ihre Fähigkeit, sehr niedrig und über Umwege ins Ziel zu fliegen. Die niedrige Flughöhe wird durch ganz spezielle Geodaten ermöglicht, die sich die Bundesregierung – und damit die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler – einiges hat kosten lassen. 2010 schickten das Deutsche Zentrum Luft- und Raumfahrt (DLR) und Airbus mit Tandem-X gemeinsam zwei Satelliten in den Orbit, die nahe beieinander fliegend Aufnahmen der Erdoberfläche machten und somit jenes digitale Höhenmodell der Erde erstellten, das Taurus nutzt. Das Projekt wurde damals mit 300 Millionen Euro vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert – die erstellten Datensätze zur militärischen Nutzung wurden dann später wiederum für 475 Millionen Euro Steuergelder von Airbus und dem DLR eingekauft. Wo genau dieser Datensatz liegt, ist der Presseberichterstattung nicht zu entnehmen. Vorstellungen, dass sich ein entsprechend auf die Ukraine reduzierter Datensatz mal eben per USB-Stick an die Ukraine übergeben ließe, erscheinen wenig realistisch. Falls die Daten in irgendeinem Rechenzentrum des DLR oder von Airbus in Deutschland liegen, müsste dem ukrainischen Militär hier ein Zugang gegeben werden oder eben deutsches Personal selbst eingebunden werden. Dies zu recherchieren, wäre Aufgabe eines Qualitätsjournalismus, wie ihn deutsche Leitmedien gerne für sich reklamieren.

Der Beitrag ist eine gekürzte Fassung des IMI-Standpunktes 2023/035 „Taurus: Meinungsmache vs. Verfassungsrecht“. Er findet sich unter imi-online.de. Dort gibt es auch das Programm des IMI-Kongresses „Deutschland im Kriegszustand“, der vom 24. bis 26. November in Tübingen stattfindet.

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"Wer liefert Daten für den Taurus?", UZ vom 6. Oktober 2023



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