Grüne fordern „plausible Erzählung“ statt Verschwörungsmythos

Wer hat Nord Stream gesprengt?

Die Bundesregierung mauert und will nicht sagen, was sie über die Verantwortlichen der Anschläge auf die Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 vor gut 15 Wochen weiß – oder nicht weiß. Am 26. September waren die auf dem Grund der Ostsee verlegten Röhren unweit der dänischen Insel Bornholm gesprengt worden, die Deutschland und Europa mit günstigem russischen Gas versorgt haben. Kurz darauf leitete der Generalbundesanwalt Ermittlungen „wegen des Verdachts der vorsätzlichen Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion“ ein. Alles deutet auf einen „vorsätzlichen Sabotageakt“ hin, ließ Kanzler Olaf Scholz (SPD) mitteilen. Doch die versprochene Aufklärung lässt auch mehr als 100 Tage nach den Untersee-Explosionen auf sich warten. Die Ampel-Regierung blockt ab, verweist mal auf laufende Ermittlungen, mal auf Geheimhaltungsinteressen. Abgeordneten wird selbst in der abgeschirmten Geheimschutzstelle des Bundestages Einsicht verwehrt. Die „international praktizierte Vertraulichkeit des Verfahrens“ sei die Voraussetzung „für zukünftige effektive Zusammenarbeit“, lautet das Totschlagargument der Ampel für die eigene Aussageverweigerung.

Schnell war von den Regierungen in den NATO-Staaten Ende September Russland verantwortlich gemacht worden – auch wenn die Vernichtung der eigenen Milliarden Euro teuren Infrastruktur wenig logisch klingt. Mittlerweile werden selbst bei eingeschworenen Transatlantikern Zweifel laut. „Wer sprengte Nord-Stream-Pipelines?“, fragte das Springer-Blatt „Bild“, dessen Redakteure per Arbeitsvertrag auf Solidarität mit den USA verpflichtet sind, kurz vor dem Jahreswechsel. „Drei Monate nach der Sprengung der Nord-Stream-Pipelines tappen Deutschlands Behörden auf der Suche nach den Tätern scheinbar völlig im Dunkeln. Bundesregierung und Ministerien schieben sich auf ‚Bild‘-Anfrage gegenseitig die Verantwortung zu.“ Die Südwestpresse stellte am 5. Januar fest: „Russland steckt vermutlich nicht hinter Sabotage der Gas-Pipelines.“ Die Ermittlungen liefen noch, „aber hinter vorgehaltener Hand wird gemunkelt, dass Russland mit den Nord-Stream-Angriffen wohl doch nichts zu tun hatte“.

Kurz vor Weihnachten hatte die „Washington Post“ von Experten berichtet, wonach für eine Täterschaft Russlands bisher keine Beweise gefunden worden seien. Nach Angaben der renommierten US-Zeitung gebe es auch keine geheimdienstlichen Informationen, die eine Schuld Russlands nahelegen könnten. Die „New York Times“ fragt mit Blick auf Moskauer Reparaturpläne, warum Russland, wenn es denn seine eigenen Pipelines bombardiert, mit der Instandsetzung beginnen sollte, die Berichten zufolge mindestens 500 Millionen Euro teuer sein soll.

Noch deutlicher wird der Philosoph und einstige Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin. Gegenüber der „Berliner Zeitung“ (31. Dezember 2022) spricht er von einem „Verschwörungsmythos, Russland habe seine eigenen Pipelines zerstört“. Er wisse auch nicht, wer für die Anschläge verantwortlich ist, sagte Nida-Rümelin in einem auch sonst lesenswerten Interview zum Ukraine-Krieg. „Aber dass Russland seine eigene Pipeline zerstört, ist doch absurd! Verschwörungsmythen haben zwei Merkmale, sie sind absurd und befriedigen zugleich Wünsche; hier, dass Russland an allem Übel schuld sein soll. Da mache ich mir Sorgen um die Demokratie, wenn die Urteilskraft in einer Krise so rasch und so stark leidet. Man muss seine Urteile faktenbasiert bilden, nicht wunschbasiert.“

Da immer offensichtlicher wird, dass es die Russen nicht waren, fordern die Grünen von der Ampel-Regierung, „wenigstens eine plausible Erzählung“ vorzulegen. Sevim Dağdelen, Obfrau der Fraktion „Die Linke“ im Auswärtigen Ausschuss, will kein neues Narrativ, keine weitere Nebelwerferei und Vertuschung, sondern tatsächliche Aufklärung: „Die Ermittlungsergebnisse des Nord-Stream-Terrorakts müssen endlich auf den Tisch – auch, wenn sie Verbündete belasten, die davon profitieren, wie etwa die USA und ihre LNG-Industrie, deren dreckiges Fracking-Gas jetzt treue Abnehmer in Deutschland findet und die Energiepreise für lange Zeit massiv verteuert.“

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"Wer hat Nord Stream gesprengt?", UZ vom 13. Januar 2023



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