Unternehmens- und Reichensteuern weiter im Sinkflug

Wer hat, dem wird gegeben

Die Überschrift ist geklaut. Sie stand wörtlich so am 12. September in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagzeitung“. In einem großen Artikel analysierten dort Professor Sebastian Eichfelder und sein Assistent Jonas Knaisch aus Magdeburg die Steuerpläne von CDU/CSU und FDP. Eine Regierung ohne eine dieser Parteien wird es nach dem Wahlergebnis vom 26. September in Deutschland nicht geben. Niemand kann also sagen, ihm oder ihr sei vor der Wahl nicht klar gewesen, was nach der Wahl auf uns alle zukommt. Denn: Neben vielen wolkigen Worten zum Thema „Klima“ werden beide Parteien im Interesse ihrer Hinterleute vor allem dann unverrückbare Stoppschilder aufstellen, wenn es um die Geldbörsen der Reichen geht.

Dabei kommt ihnen ein Prinzip entgegen, das sich in den letzten dreißig Jahren in Deutschland wie in allen großen kapitalistischen Nationen durchgesetzt hat: Unternehmensgewinne werden geringer besteuert als Erwerbs- und Arbeitseinkommen. Die Verklammerung von Unternehmens- und Privateinkommensbesteuerung hat seit der großen europäischen Konterrevolution von 1989/90 Stück für Stück ein Scheunentor für Reiche geöffnet, durch das hindurch sie ihre privaten Schätze vor der Inanspruchnahme durch die Allgemeinheit immer besser in Sicherheit bringen können.

Unter der Überschrift „Ein Entlastungsprogramm für Deutschlands Konzerne“ wies am 15. September – also ebenfalls noch vor den Wahlen – Christoph Spengel von der Universität Mannheim in der „Zeit Online“ darauf hin, dass die Konzernsteuerquote der Dax-30-Unternehmen von 1988 bis 2020 um 50,6 Prozent gesunken sei, sich also glatt halbiert habe. Bei der Niederwerfung der DDR, die bekanntlich ihren Staatsbedarf vor allem aus den Überschüssen der volkseigenen Betriebe deckte, betrug sie noch 52,1 Prozent. Inzwischen sind es nur noch 25,7 Prozent, die Bayer Leverkusen, BMW und andere auf ihre Gewinne zahlen müssen. Angesichts der Straßen, die extra für sie gebaut werden, der Grundlagenforschung an den Universitäten, von der sie profitieren, der Ausbildung der von ihnen ausgebeuteten Ware Arbeitskraft und anderen staatlichen Leistungen, die sie frei Haus geliefert bekommen, ist das ein Schnäppchen.

Beteiligt waren an dieser großen Befreiung des Kapitals nach 1989 alle, die jetzt in Berlin die nächsten steuerpolitischen Schritte aushecken: SPD und Grüne senkten 2001 die Körperschaftsteuer auf 25 Prozent, CDU und SPD anschließend noch einmal auf nunmehr 15 Prozent. Die Kommunen, denen die Gewerbesteuer zufließt, gingen und gehen immer öfter leer aus, wenn Unternehmen ihre Gewinne dorthin transferieren, wo die Steuersätze für sie günstig sind. Faktisch eliminiert wurden Steuern auf Spekulationsgewinne bei Immobilien. Werden sie zehn Jahre gehalten und der Wert einer Immobilie erhöht sich in dieser Zeit, streicht der Besitzer den Gewinn ein, ohne einen Cent Steuern zu zahlen.

Die Begünstigung der Reichen wird sich verstärken. Die FDP wird in die Koalitionsgespräche mit der Forderung gehen, diese für Immobilienbesitzer profitable Begünstigung von Spekulationsgewinnen auch auf Aktien auszudehnen, und zwar schon dann, wenn diese nur drei Jahre gehalten werden. Gemeinsam mit der CDU fordern sie einen großzügigen Freibetrag für die Grunderwerbssteuer, von dem Mieter nichts, Immobilienerwerber aber einiges an Geld in der Tasche hätten.

So ließe sich die Aufzählung fortsetzen. Der Clou ist aber die Verzahnung von Unternehmensteuern und Erwerbssteuern – und hier kommen auch die Grünen ins Spiel. Sie fordern zwar die Anhebung des Grundfreibetrags bei Einkommensteuern und einen leicht erhöhten Spitzensteuersatz, werden aber mit Blick auf ihre überwiegend wohlhabenden akademischen Wähler einem Ziel, das vor allem die smarten Jungs von der FDP verfolgen, im Kern zustimmen. Wer nämlich als vermögende Privatperson – gegebenenfalls mit ein paar anderen Freunden aus der Weinrunde zusammen – eine Familienholding oder GmbH oder ein Immobilienunternehmen zur gemeinsamen Verwaltung von Eigentumswohnungen bildet, unterliegt nicht mehr den Steuersätzen für Erwerbs- und Arbeitseinkommen, die dann ruhig 40, 45 oder 50 Prozent betragen dürfen. Ausgaben werden von ihnen in die Holdings oder GmbHs verschoben und führen dann zu den für Unternehmen reduzierten Steuerlasten auch für diese Einkommen.

Das wird vor allem für die bevorstehende sogenannte Energiewende interessant. Wer ein Elektroauto anschafft, wird schon jetzt mit fünfstelligen Steuerzuschüssen belohnt – bezahlt letztlich aus den Verbrauchssteuern nicht nur von Schlechtverdienenden, sondern auch von Mini-Rentnern und Arbeitslosen. Wenn ein Wähler von CDU, FDP oder Grünen dann so einen schönen Tesla vor der Tür stehen hat, mit dem sich herrlich die Nase rümpfen lässt gegenüber den stinkenden Polo-Fahrern aus den Mietervierteln, muss er auch geladen werden. Wieder hilft der Staat – für die Ladestationen gibt es zinsbegünstigte Zuschüsse von der KfW-Bank und Abschreibungen von 20 Prozent der Steuerpflicht für Handwerkerleistungen bis zu 6.000 Euro. Voraussetzung: Eigener Grund und Boden. Wem das nicht reicht: Siehe oben. Steht diese Ladestation bei der an Geringverdiener vermieteten Eigentumswohnung und war unser Beispiel-Mensch pfiffig genug, diese in einer Immobiliengesellschaft zu überführen, darf diese Ladestation als „geringwertiges Wirtschaftsgut“ sogar in voller Höhe steuermindernd angesetzt werden. Wird sein Tesla dort geladen, hat ihn diese private Tankstelle keinen Cent gekostet.

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"Wer hat, dem wird gegeben", UZ vom 8. Oktober 2021



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