Mit absurden Gesinnungstests werden einbürgerungswillige Migranten auf ihre ideologische Eignung abgeklopft

Wer deutsch sein will, braucht Staatsräson

Wer deutscher Staatsbürger werden will, dem legt Paragraf 10 Absatz 1 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) die Pflicht einer bis ins Absurde gehenden Gesinnungsprüfung auf. Da muss als erstes der Lebensstil zu unserer wertebasierten Ordnung passen. Frage Nummer 5: „Welche Medien bevorzugen Sie?“ Frage Nummer 15: „Trinken Sie auch Alkohol und/oder essen Schweinefleisch?“ Frage 55: „Haben Sie ein Problem damit, wenn eine Kollegin mit kurzem Rock oder tiefem Ausschnitt gekleidet ist?“ Frage 29: Reden Sie „über den Ukraine-Krieg oder die Konflikte zwischen Palästina und Israel“? Frage 43: „Erkennen Sie Israel als eigenständigen Staat an?“

Für die Einbürgerungsbehörden gehören diese Fragen zum gesetzlichen Standard, heißt es doch im StAG, dass eine Loyalitätsprüfung hinsichtlich der Haltung des Antragstellers „zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ stattzufinden habe. Demnach dürfen keine Bestrebungen unterstützt werden, die „eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane“ zum Ziel haben, oder „auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland“ gefährden. Mit dem „Gesetz zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts“ kam im vergangenen Jahr der Gedankencheck zur „besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft“ und zum „Verbot der Führung eines Angriffskrieges“ hinzu.

Weh dem, der hier die Phrase vom „brutalen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands“ nicht ins Formular einträgt. Oder dem, der sich unklar zu Israel verhält. In einer erst kürzlich bekannt gewordenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 7. Oktober des vergangenen Jahres heißt es: Das „Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zum Existenzrecht des völkerrechtlich anerkannten Staates Israel“ sei zur Erlangung der deutschen Staatsangehörigkeit unabdingbar und genau das lasse der palästinensische Antragsteller vermissen. Er hatte auf Frage 43 zunächst geantwortet „Es gibt kein Israel. Es gibt Juden. Aber Israel nicht als Land“ und drei Wochen später um Korrektur des Tonbandprotokolls gebeten: „Sie haben meine Antwort nicht korrekt verstanden. Ich akzeptiere Menschen jüdischen Glaubens. Ich anerkenne ebenfalls den Staat Israel nach Oslo-Friedensprozess. Ich finde es aber nicht richtig, wie Israel sich in den besetzten Gebieten verhält.“

Dies nahmen ihm die Verwaltungsrichter nicht ab. Es sei unglaubhaft, „dass er die Fragen des Anhörenden beziehungsweise die Bedeutung seiner Antworten nicht verstanden haben will“, was sich „aus der von ihm selbst und aus eigenem Antrieb vorgenommenen Differenzierung zwischen Menschen jüdischen Glaubens und dem Staat Israel“ ergebe. Die Frage an das Gericht ist wohl eher, wer hier etwas nicht verstanden hat oder gar nicht verstehen wollte. Auch der Umstand, dass die besagte Anhörung zwei Monate vor dem ansonsten zur Begründung von Verstößen gegen die Staatsräson herangezogenen Datum des 7. Oktober 2023 durchgeführt wurde, spielte für die Regensburger Richter keine Rolle.

Der Göttinger Verfassungsrechtler Florian Meinel kommentierte: „Alles an diesem offenbar ohne Anleitung und Vorbereitung geführten Wortwechsel und seiner gerichtlichen Aufarbeitung ist schräg, ja absurd (…) das Völkerrecht (kennt) zwar die Anerkennung von Staaten durch andere Staaten, aber keine Anerkennung durch Individuen.“

Die Angst vor der Staatsräson geht um – auch an den Hochschulen. Ein auf der unter Verfassungsjuristen geschätzten Internetplattform „verfassungsblog.de“ erschienener Beitrag zum „Spannungsverhältnis zwischen Staatsräson und Grundrechten“ wurde unter Pseudonym publiziert. Hinweis: „Aufgrund der im Text geschilderten Diskursverengung im Zusammenhang mit der durch das WissZeitVG bedingten akademischen Berufsunsicherheit wird dieser Text unter Pseudonym veröffentlicht.“ Gemeint ist das Gesetz über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft. Wer nicht staatsräsoniert, fliegt. „Diskursverengung“ ist da eine überaus zurückhaltende Formulierung.

Es tritt das ein, was Sevim Dağdelen (BSW) am 7. November des vergangenen Jahres in ihrer Rede zur „Antisemitismus-Resolution“ des Bundestags gebrandmarkt hat: „Sie wollen eine wissenschaftlich umstrittene Antisemitismusdefinition staatlich postulieren. Auch die Kritik an der in Teilen rechtsextremen Regierung des israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu wird so unter den Verdacht des Antisemitismus gestellt. Das ist nichts weiter als ein Angriff auf Grundgesetz und Völkerrecht.“

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"Wer deutsch sein will, braucht Staatsräson", UZ vom 17. Januar 2025



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