Dem Kapital kann es bei dieser Konstellation egal sein, wer unter ihm regiert

Wer darf dienen?

Am Montag nach den Wahlen zum Bundestag und den Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern sandte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, dem politischen Personal eine klare Botschaft: „Angesichts des unklaren Wahlausgangs erwartet die deutsche Industrie jetzt von allen Parteien maximale Verantwortung und Anpacken der Prioritäten statt taktischer Manöver.“ Und legte der Einfachheit halber auch gleich die Schwerpunkte des zukünftigen Regierungsprogramms fest: „Die Stärkung unserer Wirtschaftskräfte und das Bekenntnis zum Industrie-, Export- und Innovationsland Deutschland sind ohne Alternative für jede denkbare Koalition.“ Übersetzt heißt das: Bund und Länder haben gefälligst mit bisher nicht gesehenen Summen dafür zu sorgen, dass die Bundesrepublik ihre Vormachtstellung auf den globalen Exportmärkten und innerhalb der EU behält und ausbaut. Das „ohne Alternative“ hatte Russwurm im Juni mit „Billionen Euro“ beziffert.

Noch Drängenderes zitierte die „FAZ“ am Dienstag von anderen Kapitalsprechern: Jede neue Regierung müsse „schnell ins Handeln kommen“ (Kerstin Andreae, Hauptgeschäftsführerin des Energieverbandes BDEW), Deutschland brauche „schnell Klarheit“ (Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing, zugleich Präsident des Bundesverbands deutscher Banken). Präferenzen für Armin Laschet oder Olaf Scholz hätten die Wirtschaftsvertreter nicht erkennen lassen, stellte die „FAZ“ fest.

Ihnen kann egal sein, wer unter ihnen regiert. Alle vier für eine Koalition in Frage kommenden Parteien haben im Wahlkampf dem deutschen Kapital Angebote für staatliche Finanzspritzen in einer Höhe gemacht, die es nicht ablehnen kann. Alle vier stehen in Treue fest zu den USA und deren Forderungen nach mehr Rüstung und Kriegsvorbereitung, am aggressivsten antirussisch gebärden sich die Grünen. Die Offerten für einen gigantischen staatsmonopolistischen Schluck aus der Steuerpulle ähnelten sich bis in den Wortlaut hinein. Seit dem Auftritt Annalena Baerbocks beim BDI im Juni hat sie dort eine Fangemeinde. Die Wahl war insofern entschieden, der Rest ist schnellstmögliche Postenverteilung.

Um die geht es nicht erst seit Sonntag. Bereits vorab war zu lesen, dass FDP und Grüne deswegen Kontakt zueinander aufgenommen hatten. Vor dem offiziellen Ende der Wahl war das Endresultat im Wesentlichen bekannt. Die SPD kam schließlich mit 25,7 Prozent der Stimmen (11,95 Millionen Wähler) knapp vor CDU und CSU mit 24,1 (11,17 Millionen) Prozent ins Ziel. Die Grünen erreichten 14,8 Prozent (6,5 Millionen), die FDP 10,5 Prozent (5,32 Millionen). Beide Parteien haben bei den Wählern unter 30 Jahren jeweils etwa 20 Prozent-Anteile. Im Bundestag vertreten sein werden außerdem die AfD mit 10,3 Prozent (4,8 Millionen) und die Partei Die Linke mit 4,9 Prozent (2,27 Millionen) sowie der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) für die dänische Minderheit mit einem Mandat. „Die Linke“ verlor gegenüber 2017 mehr als zwei Millionen Stimmen und rettete sich mit drei Direktmandaten, durch welche die Fünf-Prozent-Hürde aufgehoben wurde, ins Parlament. Ihre Fraktion besteht aus 39 Abgeordneten statt wie bisher aus 69.

Grüne und AfD erreichten erstmals jeweils 16 Direktmandate. Die der AfD kommen alle aus Ostdeutschland. In Sachsen und Thüringen wurde sie jeweils stärkste Partei mit je einem Viertel der abgegebenen Stimmen.

In Berlin sprechen seit Montag FDP und Grüne offiziell und unter großem Medienspektakel darüber, wen sie zum Kanzler machen wollen. Laut dem Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck ist von seiner Partei aus alles geklärt: Er wird laut „FAZ“ Vizekanzler. Bleibt nur die Frage, wer möglichst schnell sein nomineller Chef wird.

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"Wer darf dienen?", UZ vom 1. Oktober 2021



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