Basketball: Was das Besondere an den Niners Chemnitz ist

Wenn Marx hüpft und klatscht

Friedhelm Vermeulen

Es war die erfolgreichste Saison in der Vereinsgeschichte der Niners. Das Basketballteam aus Chemnitz gewann mit dem FIBA Europe Cup einen europäischen Wettbewerb. Im BBL-Pokal schieden sie gegen den amtierenden Meister Ulm aus. Und in der Bundesliga standen die Chemnitzer lange auf dem 1. Tabellenplatz, starteten letztendlich als Dritter in die Playoffs und scheiterten erst im Halbfinale nach fünf Spielen knapp an Alba Berlin, die die Serie letzte Woche Donnerstag mit 3 zu 2 knapp für sich entschieden.

Der Erfolg war nicht vorauszusehen. Es ist eine bunte Gruppe, die sich in Chemnitz zusammengerauft hat. Allen voran Kevin Yebo, Jahrgang 1996 und 2,06 Meter groß, der erst mit 16 Jahren angefangen hat, Basketball zu spielen. Sein Spielstil könnte als unorthodox bezeichnet werden. Yebos Gegenspieler haben zumindest ihre Probleme mit seiner Unberechenbarkeit. Seine Athletik, seine Fähigkeit, aus allen Lagen zu punkten, sein Rebounding und seine Effizienz haben ihn in der aktuellen Saison zu einem MVP-Kandidaten – also zum wertvollsten Spieler – der Bundesliga aufsteigen lassen.

Doch zum Erfolg von Chemnitz in dieser Saison gehört, dass das gesamte Team kaum berechenbar ist. Mal ist es der Routinier Deandre Landsdowne, der aus jeder Position trifft und die gegnerische Verteidigung zur Verzweiflung bringt. Dann sind es Jeff Garrett oder Wesley van Beck, die mit hoher Effizienz und auch mal von weit hinter der Dreierlinie Würfe ins Ziel bringen. Und dann sind da noch Kaza Kajami-Keane, Aher Uguak, Dominic Lockhart, Eigengewächs Jonas Richter und andere, die unverzichtbarer Teil der Mannschaft sind. Die größte Stärke der Mannschaft liegt in der Verteidigung. Alle kleben an ihren Gegenspielern und hechten ihnen ständig nach, was Alba Berlin zeitweise zur Verzweiflung trieb. Doch diese Art zu spielen kostet viel Kraft – und die ging den Chemnitzern zum Schluss aus.

Dass die Niners in der Vergangenheit gute Spieler halten und gute neue dazugewinnen konnten, ist vor allem Rodrigo Pastore zu verdanken. Er ist seit 2015 für den Verein als Chefcoach tätig, schaffte mit ihnen den Aufstieg in die Bundesliga und wurde in diesem Jahr zum „Trainer des Jahres“ gekürt.

Doch besonders besonders ist an den Niners Chemnitz ihr Maskottchen: Denn am Spielfeldrand steht bei jedem Heimspiel „Karli“ – ein 2,20-Meter-Marx. Die Idee dazu entstand laut Verein 2016, nachdem Niners-Fans ein Riesenbanner mit einem Bild des Karl-Marx-Monuments der Stadt entrollt hatten. Die Springer-Presse wundert sich: „Negative Reaktionen gab es bislang kaum“, was aber wohl nur daran liege, dass Karli „bisher viel Glück gebracht“ habe.

Ob der sportliche Erfolg von Dauer ist? Von Karli hängt es nicht ab. Aber sein Namensgeber könnte erklären, warum die nächste Saison sehr schwer werden dürfte. Denn im kapitalistischen Sportgeschäft ist es unmöglich, ein Team zusammenzuhalten, das Leistungen gezeigt hat, die sichtbar über den finanziellen Möglichkeiten des Vereins liegen. Leistungsträger werden lukrativere Angebote erhalten und weiterziehen. Zumindest der Trainer hat bereits einen Vertrag bis 2026 unterschrieben. Wobei das im Sportgeschäft auch keine Garantie dafür ist, dass Pastore in der nächsten Saison auch wirklich in der Chemnitz Arena an der Seitenlinie steht. Aber wenn es so sein sollte, wird Karl Marx neben ihm stehen und klatschen.

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"Wenn Marx hüpft und klatscht", UZ vom 14. Juni 2024



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