Die Klage der „jungen Welt“ gegen die BRD wurde in erster Instanz abgelehnt

„Wenn man Lenin sympathisch findet“

Chris Hüppmeier

Das Berliner Verwaltungsgericht hat vergangene Woche eine Klage abgewiesen, in der sich der Verlag 8. Mai und die von ihm publizierte marxistische Tageszeitung „junge Welt“ gegen die Bundesrepublik Deutschland zur Wehr setzt. Hintergrund ist die Nennung der Zeitung in den Berichten des Verfassungsschutzes, die seit 1998 praktiziert wird. Sie führte und führt zu erheblichen Einschränkungen der publizistischen und redaktionellen Arbeit der Zeitung. „junge Welt“ soll der „Nährboden entzogen“ werden – so verkündet es die Bundesregierung seit 2021 ganz offen. UZ sprach nach dem Prozess mit Dietmar Koschmieder, Geschäftsführer der Verlag 8. Mai GmbH.

UZ: Du hast damit gerechnet, dass das Berliner Verwaltungsgericht die Klage des Verlages 8. Mai gegen die BRD abweisen würde und bereits im Vorfeld angekündigt, nötigenfalls bis zum Europäischen Gerichtshof zu gehen. Dass schon am ersten Prozesstag ein Urteil gefällt wurde, war dann aber schon überraschend, oder?

Dietmar Koschmieder: Wir hatten die Klage in der Hauptsache bereits vor drei Jahren eingereicht, gleichzeitig einen Eilantrag für einen vorläufigen Rechtsschutz gestellt. Wir mussten und müssen davon ausgehen, dass dieser Prozess viele Jahre dauern wird. Bis zum rechtskräftigen Urteil könnte der bewusst angerichtete Schaden schon so groß sein, dass es die Zeitung dann gar nicht mehr gibt. Wir wollten deshalb mit einer einstweiligen Verfügung erwirken, dass „junge Welt“ bis zu einem endgültigen Urteil nicht mehr im Verfassungsschutzbericht genannt werden darf. Der Eilantrag wurde dann sieben Monate später vom Berliner Verwaltungsgericht abgelehnt – von demselben Vorsitzenden Richter, der es auch jetzt wieder für plausibel hält, was der Verfassungsschutz über die „junge Welt“ in seinen Berichten schreibt.

Dass wir die erste Instanz nicht gewinnen, war also abzusehen. Dass man uns dann aber fast drei Jahre bis zur Hauptverhandlung warten lässt und uns dann noch nicht einmal auf den letzten Schriftsatz der Gegenseite, die uns wenige Stunden vor der Hauptverhandlung erreichte, antworten lässt, nur um rasch ein Urteil raushauen zu können, halten wir für rechtswidrig: Nach der Verschleppung also die Verweigerung rechtlichen Gehörs.

UZ: Das Gericht bezog sich immer wieder auf Aussagen in den Berichten des Verfassungsschutzes und eine Stellungnahme der Bundesregierung aus dem Jahr 2021. Dort wird unter anderem die marxistische Ausrichtung von Verlag und „junge Welt“ als Begründung ihrer angeblichen Verfassungsfeindlichkeit genannt. Inwieweit spiegelte sich das auch in der Urteilsbegründung wider?

Dietmar Koschmieder: Hauptvorwurf in den Schriftsätzen bisher war, dass die „junge Welt“ marxistisch sei und deshalb die Gesellschaft umstürzen wolle. Belegt wird das im letzten Schriftsatz der Gegenseite unter anderem mit „der Diffamierung der politischen Gegenwart als kapitalistisch oder imperialistisch“, außerdem würde die politische Situation in Deutschland „als Systemkrise dargestellt“. Angeprangert wird auch die regelmäßige Verwendung von marxistischem Vokabular wie Klassenkampf, Klassenjustiz oder Arbeiterklasse. Dieser Ansatz wurde dann verschärft durch die Formulierung „Marxismus-Leninismus“: So hat der Richter sein Urteil auch damit begründet, dass Lenin die freiheitlich-demokratische Grundordnung energisch bekämpft habe. Aus Abbildungen in der „jungen Welt“ wisse er, dass die Zeitung diesen Mann sympathisch finde, und deshalb sei auch sie selbst ein Feind dieser Grundordnung.

3005 Dietmar Koschmieder Interview - „Wenn man Lenin sympathisch findet“ - DKP, junge Welt, Prozess, reaktionär-militaristischer Staatsumbau, Verfassungsschutz, Verlag 8. Mai - Politik
Dietmar Koschmieder

Ähnlich verhalte es sich mit dem Verhältnis der „jungen Welt“ zur DDR: Man könne in der Zeitung eine Reihe von freundlichen Artikeln zum Thema DDR lesen. Wer aber eine positive Haltung gegenüber der DDR zeige, habe ein Verständnis vom Marxismus-Leninismus wie das der Führung der DDR. Wenn ich also sage, dass mir der deutsche Staat sympathischer ist, von dem niemals ein völkerrechtswidriger Krieg ausgegangen ist und dessen oberste Maxime Frieden war, dann gelte ich als Befürworter des Einparteiensystems und bin damit Verfassungsfeind. Wohlbemerkt, das formuliert nicht der Geheimdienst oder die Bundesregierung so, sondern ein unabhängiger Richter der Bundesrepublik Deutschland.

UZ: Angeführt wird auch, dass Mitarbeiter und Autoren der „jungen Welt“ Mitglieder der DKP und damit „gesichert linksextrem“ seien. Inwiefern ist dieser Angriff auf den Verlag 8. Mai und „junge Welt“ auch ein Angriff auf die DKP, die sich klar gegen die gegenwärtige Kriegstreiberei und den Kriegstüchtigkeitswahn stellt?

Dietmar Koschmieder: Der bisherige Prozessverlauf zeigt, dass es grundsätzlich darum geht, unliebsamen Medien, aber eben auch Parteien wie der DKP den Einfluss zu nehmen. Auch der DKP will man den Nährboden und Wählerpotential entziehen. Uns verzeiht man nicht, dass wir hier nicht mitspielen und in unserer journalistischen Arbeit die DKP zu Wort kommen lassen, zum Beispiel durch das Zitieren von Beschlüssen, das Berichten über Parteitage oder über Interviews mit dem Parteivorsitzenden Patrik Köbele. Zur Pressefreiheit gehört aber, dass die Redaktion einer Zeitung entscheidet, über was sie berichtet und mit wem sie spricht, und nicht die Bundesregierung, ein Geheimdienst oder ein Richter.

UZ: Wenn die wissenschaftliche Weltanschauung des Marxismus-Leninismus als verfassungsfeindlich eingestuft wird und das in einem Urteil sogar in letzter Instanz rechtskräftig bestätigt würde, welche Folgen hätte das?

Dietmar Koschmieder: So weit ging man noch nicht einmal beim KPD-Verbot 1956! Wenn es aber so kommt, dann verändern sich für demokratische Kräfte, also nicht nur für Marxisten, die Kampfbedingungen in diesem Land dramatisch. Das hat natürlich etwas mit den sich verändernden gesellschaftlichen Realitäten zu tun. Die DKP nennt das zu Recht einen reaktionär-militaristischen Staatsumbau. Noch leben wir in einer bürgerlichen Demokratie. Bei der Geschwindigkeit, in der dieser Staat umgebaut wird, wissen wir aber nicht, wie die Verhältnisse aussehen, wenn wir nach Jahren beim Bundesverfassungsgericht angekommen sind. Wir verstehen diese Auseinandersetzung deshalb auch als Kampf für den Erhalt bürgerlich-demokratischer Grundrechte. Und der ist nicht nur im Interesse der „jungen Welt“ sondern auch anderer Medien, die künftig bei kritischer Berichterstattung leichter an den Pranger gestellt werden könnten.

Die Fragen stellte Chris Hüppmeier

Soli-Erklärung der DKP: uzlinks.de/jw-urteil

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"„Wenn man Lenin sympathisch findet“", UZ vom 26. Juli 2024



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