Afghanistan-Untersuchungsausschuss vernahm neue Zeugen

Wenn man der NATO hilft

Der Untersuchungsausschuss zu Afghanistan vernahm in seiner 18. Sitzung vom 15. Dezember 2022 weitere Zeugen. Im August 2021 übernahmen Verbände der Taliban nach 20 Jahren militärischer Intervention der USA und ihrer NATO-Verbündeten die afghanische Hauptstadt Kabul. Der seit dem 8. Juli 2022 eingesetzte Untersuchungsausschuss unter Vorsitz von Ralf Stegner (SPD) befasst sich mit den chaotischen Umständen des Abzugs der Bundeswehr, insbesondere mit der in weiten Teilen fehlgeschlagenen Evakuierung der für deutsche Institutionen vor Ort tätigen zivilen Kräfte. Bei den Ortskräften handelte es sich um zehntausende Menschen afghanischer Nationalität, die zumeist als Übersetzer, Fahrer, Schreibkräfte und Mechaniker eingesetzt waren.

Innerhalb des Zeitraums vom 16. bis zum 26. August 2021 wurden lediglich 138 Ortskräfte samt 496 Familienangehörigen nach Deutschland ausgeflogen. Etwa 10.000 Personen, denen bereits eine Aufnahmezusage erteilt worden ist, warten heute noch auf eine Gelegenheit, Afghanistan zu verlassen. Dazu muss es ihnen jedoch erst einmal gelingen, sich zur deutschen Botschaft durchzuschlagen und dort ein Visum zu beantragen. Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass als Ortskräfte nur die registriert wurden, die einen Arbeitsvertrag mit einer deutschen Institution oder einem Unternehmen hatten. Tausende, die nur über Projektverträge verfügten, wie die Vielzahl der Übersetzer, scheitern an den bürokratischen Hürden des Anerkennungsverfahrens. Um der Verfolgung als Kollaborateure der NATO zu entgehen, leben sie – wie die anderen Zurückgelassenen – versteckt und in ständiger Angst, durch die Sicherheitskräfte der Taliban identifiziert zu werden. „Bei der Anwendung der Ortskräfte-Definition gelten nicht der Gleichbehandlungsgrundsatz und rechtsstaatliche Maßstäbe, sondern absolute Willkür“, so kennzeichnet der Rechtsbeistand des Zeugen Ahmad Samim Jabari, der in Afghanistan für die Bundeswehr tätig war, die Lage. Die Bundesregierung verfüge bei vielen Ortskräften weder über Daten noch Akten und sei „komplett überfordert“.

Die am 15. Dezember 2022 vom Untersuchungsausschuss vernommene frühere Mitarbeiterin der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) Amena Rahemy schilderte weitere Einzelheiten zum Versagen der deutschen Behörden: Damit ein Angehöriger einer geflohenen Ortskraft als „gefährdet“ und somit visumberechtigt anerkannt werden kann, fordern deutsche Stellen die Vorlage von Beweisen. „Das ist unmöglich. Die Taliban stellen unseren Angehörigen kein Dokument aus, dass sie durchsucht wurden“, merkt Rahemy an, und weiter: „Alle Versuche, meine Familie nach Deutschland zu holen, sind bisher gescheitert. Der ehemalige Außenminister hatte doch versprochen, auch die gefährdeten Angehörigen von Ortskräften zu retten.“ Das Versprechen von Heiko Maas war genauso wenig wert wie die vollmundigen Zusagen im Koalitionsvertrag vom 7. Dezember 2021: „Wir werden unsere Verbündeten nicht zurücklassen (…) Wir werden humanitäre Visa für gefährdete Personen ermöglichen und dazu digitale Vergabeverfahren einführen.“ Die Botschaft in Kabul ist geschlossen, Visumanträge (analog und digital) sind „daher längerfristig nicht möglich“, heißt es auf der Internetseite der Auslandsvertretung. Man könne es über die Botschaften in Islamabad oder Teheran versuchen, ist zu lesen. Ein Hohn, Teheran liegt über 2.000 Kilometer von Kabul entfernt.

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"Wenn man der NATO hilft", UZ vom 6. Januar 2023



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