Es war der größte Protest in der Schweiz seit 1991 – dem Jahr des ersten Frauenstreiks. Am 14. Juni waren in der Schweiz fast eine halbe Million protestierender und streikender Frauen auf den Straßen. Die vielfältigen Aktionen wurden von ehrenamtlichen Streikkollektiven in allen Landesteilen organisiert. In den Bündnissen fanden sowohl bislang nicht organisierte wie auch gewerkschaftlich, sozial- und parteipolitisch aktive Frauen zusammen. Erst später bekannten sich Parteien und Gewerkschaften auch offiziell zum Frauenstreik.
Die eigentlichen Arbeitsniederlegungen machten zwar nur einen kleinen Teil der Aktionen am 14. Juni aus, aber die Bündnisse organisierten in vielen Städten zahlreiche bunte und vielfältige Proteste: Autokorsos, Kinderwagen- und andere Demos, Rollator-Rennen, Kundgebungen, Blockaden, Feste, Picknicks auf Straßenkreuzungen und vieles mehr. Aus allen größeren Städten wurden beeindruckende Teilnehmerinnenzahlen gemeldet. Alleine in Zürich waren es mehr als 160 000 Demonstrantinnen und Demonstranten, in Lausanne über 60 000, in Basel und Bern je über 40 000. Auch kleinere Städten wie Freiburg, Neuenburg und Luzern meldeten Beteiligungen von „historischem Ausmaß“. Die Vielfalt und die Anzahl der Aktionen sowie die hohe Beteiligung ist Ausdruck der großen Kraft und Breite dieser Bewegung.
Von Stuttgart aus sind wir vom „Aktionsbündnis 8. März“ mit etwa 50 Frauen mit dem Bus nach Zürich gefahren und haben uns dort an Aktionen beteiligt. Zur Mittagszeit nahmen wir an der Blockade des zentralen Verkehrsknotenpunktes „Zürich Central“ auf der Bahnhofsbrücke teil. Als wir von der Uni – der Aktion „Feministischer Sturm auf den Elfenbeinturm“ – Richtung Platz liefen, kamen viele vermummte Frauen mit Einkaufswagen aus einer Seitenstraße gerannt und machten mit den Wagen Straßen sowie die Gleise der Straßenbahn dicht – ein langes Transparent wurde an den Einkaufswagen befestigt: „Wenn Frau will, steht alles still.“ Eine andere Straße wurde durch ein Transparent mit „Blockieren, damit’s weiter geht! Ab heute jeden Tag“ abgesperrt – als Befestigung dienten Halteverbotsschilder. Und über einem großen Hang hing ein Mammuttranspi: „Heute Streik – morgen Revolution – 14. Juni Frauenstreik“. Eine tolle Umrahmung dieses Verkehrsknotens. In die Einkaufswagen stellten solidarische Männer viele Kochtöpfe mit leckerem Essen. Auf der Kreuzung fand dann ein Picknick mit vielen hunderten Frauen statt. Außer ein paar „Zivilbullen“, so wurden sie von den Schweizer Frauen bezeichnet, war keine Polizei zu sehen. Und mit diesen gingen die Schweizer Frauen auch nicht gerade zimperlich um. Einige bekamen auch mal einen Schöpfer Eintopf übergeschüttet, ihre Kameras waren auch beliebte „Angriffsobjekte“. Als wir dann mit einem nicht angemeldeten Demozug zum Streikzentrum am Helvetiaplatz marschierten, sahen wir überall an den Häusern die lila Streikfahnen – ein Frauenzeichen mit geballter Faust – und viele Transparente hängen, viele Frauen zeigten am Straßenrand oder von den Fenstern ihre Solidarität und Unterstützung, immer wieder kamen Kolleginnen aus ihren Läden und Restaurants und legten für kurze Zeit die Arbeit nieder. In vielen Seitenstraßen gab es kleinere und größere Aktionen – im Aktionsplan waren über 60 eingezeichnet. Ganz Zürich schien erfüllt vom Frauenstreik – ein tolles Gefühl. Alles war gut organisiert und super solidarisch.
Bei der zentralen Demo und Kundgebung am Abend mit über 160 000 Protestierenden überwältigten uns die so zahlreichen selbst gemalten, kreativ gestalteten Schilder und Transparente. Die Vielfalt und Breite der Bewegung, die vielen beteiligten Organisationen, die zahlreichen Beschäftigtengruppen mit ihren klaren Forderungen haben uns sehr beeindruckt. Bemerkenswert war auch die hohe Beteiligung so vieler junger Frauen.
Durch die monatelange intensive Vorbereitung wurde ein dichtes neues Netzwerk geknüpft, neue Bündnisse geschlossen. Damit ist der „Frauen*streik 2019“ der Beginn einer neu vernetzten und um ein Vielfaches gestärkten Frauenbewegung, so unser Eindruck. Die Schweiz wird nach diesem Tag eine andere sein, das war für uns alle deutlich spürbar. Wir schöpften an diesem Tag viel Kraft, tankten frische Energie und wir haben neue Ideen und Erfahrungen mit nach Deutschland zurückgenommen. Der Schweizer Frauenstreik ist ein tolles Vorbild, das wir in den nächsten Jahren auch hier umzusetzen versuchen werden.