Wenn die Arbeit krank macht

Gerhard Ziegler im Gespräch mit Sammelbetriebsgruppe „Öffentlicher Dienst“

In Hamburg haben sich Mitglieder der DKP aus öffentlichen Betrieben und Verwaltungen zu einer Sammelbetriebsgruppe „Öffentlicher Dienst“ der DKP zusammengeschlossen. Wir sprachen mit ihnen über den Pflegenotstand in den Krankenhäusern und ihre Alternativen.

UZ: In der letzten Zeit gab es in Hamburg viel Bewegung im Streit um eine bessere Gesundheitsversorgung. Warum ist diese Frage so wichtig?

Sammelbetriebsgruppe „Öffentlicher Dienst“: Wenn es um unsere Gesundheit geht, dann geht es für uns immer um eine existenzielle Frage. Und die Arbeiterklasse ist in besonderem Maße davon betroffen.

Wir haben es in den letzten Jahrzehnten mit einer Verschärfung der Ausbeutung zu tun, und da geht es nicht nur um die so genannten prekären Arbeitsverhältnisse, sondern da geht es darum, dass diejenigen, die Arbeit haben, sich einer immer größeren Belastung gegenübersehen. Allein durch die technische Weiterentwicklung hat sich die Arbeit stark verdichtet. Aufgrund der Schwäche der gewerkschaftlichen Organisierung und Durchschlagskraft war es ja nicht möglich, diese Produktivitätsfortschritte z. B. in Arbeitszeitverkürzung umzusetzen. Eher im Gegenteil. Obwohl wir eigentlich einen gesetzlichen Achtstundentag haben, sieht die Realität doch ganz anders aus.

Zusätzlich zu der Verdichtung haben wir auch lange und zum Teil sehr lange Arbeitszeiten von 48 Wochenstunden und mehr. Der dauernde Leistungsdruck und der Stress, dass man die Arbeit nicht schafft, die einem zugeordnet wird, macht auf Dauer krank. Und auch die Arbeitslosigkeit – der gesellschaftliche Ausschluss – mach krank. Hinzu kommen natürlich noch viele andere Sachen: Die Sorge, ob man mit dem Geld über die Runden kommt, die Miete zahlen kann, die schlechten Wohnverhältnissen mit schimmligen Wohnungen, wie wir sie auch in Hamburg haben. Vor allem aber denken wir, ist es die ständige Angst um die eigene Existenz und die der Familie. Das zeigen auch die Zahlen der Gesundheitsstatistiken: Depressionen, Angststörungen, Burn-out, das alles sind längst Volkskrankheiten geworden wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die Leute – selbst bis hin zu Grundschülern – nehmen Psychopharmaka, um weiter funktionieren zu können.

Die Zahlen insgesamt sind wirklich dramatisch, auch wenn sie kaum zur Kenntnis genommen werden. Die Leute werden nicht nur krank, sie werden so krank, dass sie erwerbsunfähig werden. Das Durchschnittsalter der neuen Erwerbsunfähigen liegt bei 50 Jahren. Und es sind schon lange nicht mehr nur die Kolleginnen und Kollegen aus dem Baubereich oder anderen körperlich stark anstrengenden Berufen. Und für die meisten bedeutet die Erwerbsunfähigkeit auch gleich den ökonomischen Absturz.

Wenn man dann krank ist, ist man den Verhältnissen in den Krankenhäusern und Pflegeheimen ausgesetzt, die einfach himmelschreiend sind. Egal, ob es darum geht, ein Schmerzmittel zu bekommen, auf die Toilette begleitet zu werden, stundenlang in Ungewissheit auf eine Untersuchung zu warten oder auf ein vernünftiges Arztgespräch. Oft sind es entwürdigende, demütigende oder auch Angst machende Situationen, die man dort erlebt. Und das alles in einem der reichsten Länder der Welt.

UZ: Die Tatsache, dass es Leuten schlecht geht, führt ja noch längst nicht dazu, dass sich Leute auch zur Wehr setzen. Wo seht ihr Ansatzpunkte, um als DKP diese Zustände zu ändern?

Sammelbetriebsgruppe „Öffentlicher Dienst“: Zum einen hat das hier in Hamburg eine gute Tradition: Der Verkauf der früher städtischen Kliniken an den Krankenhauskonzern Asklepios wurde ja hier in Hamburg von fast 80 Prozent der Bevölkerung abgelehnt. Die Leute wussten sehr wohl, was Privatisierung der Gesundheitsversorgung bedeutet.

Aber eigentlich sind die ersten Ansatzpunkte für erfolgreiche Kämpfe in der Pflege in der Charité entwickelt worden. Die Strategie des Bettenstreiks und der Stationsschließungen war der erste Schritt, um in einem Arbeitskampf im Krankenhaus auch einen wirtschaftlichen Schaden für den Krankenhausbetreiber zu erzeugen. Das ist natürlich ein ganz anderes Druckmittel als nur moralischer Druck. Das hat sich auch in den Kämpfen ausgedrückt: Es gab Slogans wie: „Wenn wir arbeiten wie in einer Fabrik, dann können wir auch streiken wie die Fabrikarbeiter!“ Eine Besonderheit in diesen Kämpfen ist, dass es ein – quasi auf der Hand liegendes – gemeinsames Interesse von Beschäftigten und Patienten gibt. Und potentielle Patientinnen und Patienten sind wir alle. Das heißt, diese Arbeitskämpfe lassen sich mit gesellschaftlichen Bündnissen verbinden.

Diese Chance sollten wir nutzen. Das ist auch der Hintergrund, warum sich die Kämpfe auf die Krankenhäuser konzentrieren, weil hier auch unsere potentielle Durchsetzungskraft am größten ist. Wenn man sich die Zustände in den Altenheimen anschaut, sind diese oft noch viel schlimmer, aber hier ist es eben noch viel schwerer, Ansatzpunkte zu entwickeln, um uns auch durchsetzen zu können mit unseren Forderungen.

Wenn es uns gelingt, im Krankenhaus Verbesserungen durchzusetzen, sei es auf tariflichen oder längerfristig gesehen und basierend auf tariflich erstrittenen Regelungen auch gesetzlich, dann wäre das ein erster wichtiger Schritt. Ein Schritt auf dem Weg, das ganze Gesundheitssystem vom Kopf auf die Füße zu stellen. Und das bedeutet, das Gesundheitssystem der Marktlogik zu entziehen.

UZ: In Hamburg selbst finden derzeit keine Arbeitskämpfe für mehr Personal statt, wie geht ihr damit um?

Sammelbetriebsgruppe „Öffentlicher Dienst“: Das ist so nicht ganz richtig. Es stimmt, dass es momentan noch keine Tarifkämpfe für eine verbindliche Personalbemessung im Krankenhaus gibt. Aber unterhalb dieser Schwelle gab es durchaus Aktionen, wie z. B. den Aktionstag zur Händedesinfektion im September letzten Jahres.

UZ: Die DKP Hamburg ist Teil des „Hamburger Bündnisses für mehr Personal im Krankenhaus“. Dieses Bündnis hat nun erfolgreich einen Volksentscheid begonnen. Widerspricht das nicht eurer Einschätzung, dass der Schlüssel zu Veränderungen in Arbeitskämpfen in den Kliniken verbunden mit starken politischen Bündnissen liegt?

Sammelbetriebsgruppe „Öffentlicher Dienst“: Das Besondere an diesem Bündnis ist, dass hier sowohl Pflegekräfte als auch andere gesellschaftliche Gruppen und Organisationen aktiv sind. Und auch als Bündnis haben wir immer wieder betriebliche Aktionen unterstützt. Wir sehen das nicht als Widerspruch, sondern als eine weitere Möglichkeit, um Druck zu entwickeln.

Es ist klar, dass ein Volksentscheid ebenso wie eine Tarifbewegung angegriffen werden kann. Wir sehen das gerade, weil der Senat bereits angekündigt hat, Klage einreichen zu wollen. Selbst wenn wir erfolgreich sind, wird versucht werden, das Gesetz zu unterlaufen oder es einfach nicht umzusetzen. Deshalb ist es unabdingbar, dass die Pflegekräfte von Beginn an in diese Bewegung eingebunden sind, dass es zu ihrer Sache wird. In einigen Krankenhäusern war der Erfolg beim Unterschriftensammeln für die erste Stufe wirklich gigantisch. Ohne die Pflege werden wir dieses Gesetz nicht durchsetzen, vor allem aber nicht umsetzen und verteidigen können. Deshalb konzentrieren wir uns im Bündnis jetzt darauf, über unsere Organisierungen in den proletarischen Stadtteilen im Einzugsbereich der Krankenhäuser sowohl noch mehr Nachbarinnen und Nachbarn zu gewinnen als auch in den Krankenhäusern selbst durch gemeinsame Aktionen noch mehr Kolleginnen und Kollegen zu erreichen.

UZ: Ihr plant im September gemeinsam mit anderen Bündnispartnern eine Veranstaltung zur internationalen Arbeit Kubas im Bereich der Medizin. Was hat das mit einer besseren Gesundheitsversorgung hier in der BRD zu tun?

Sammelbetriebsgruppe „Öffentlicher Dienst“: Kuba macht es vor und ist – wieder einmal – beispielgebend. Es ist ergreifend und beschämend zugleich, wie solch ein relativ armes und kleines Land eine so effektive und großartige Hilfe leistet. Und es ist ein Beispiel dafür, was wir unter sozialistischen Vorzeichen für Möglichkeiten und Potentiale haben. Die Veranstaltung läuft unter dem Titel „Por la vida – Für das Leben!“. Und genau darum geht es, dass wir gemeinsam und auch international streiten und kämpfen für eine bessere Gesundheitsversorgung, für unser Leben, für das Leben unserer Klasse.

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"Wenn die Arbeit krank macht", UZ vom 29. Juni 2018



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