Es ist eine alte Geschichte: Der Hund beschnuppert die Laterne, markiert sie und zieht erleichtert seines Weges. Im nordrhein-westfälischen Viersen wurde dieser Erzählung unlängst ein neues Kapitel hinzugefügt: Der Laternenmast kippt um. Hunde-Urin hat eine dreistellige Zahl von Aluminiummasten so stark zersetzt, dass ihre „Standfestigkeit über den Monat Mai hinaus“ infrage gestellt wird, wie die Stadt in einer Pressemitteilung berichtet. Um Schlimmeres zu verhindern, beschloss die Stadtverwaltung, die gefährdeten Lampen abzusägen und durch Stahlleuchten zu ersetzen. Diese könnten „dem Hunde-Urin deutlich mehr Widerstand entgegensetzen“, weiß die Stadt. Allerdings wird es noch eine Weile dunkel bleiben. Denn die Lieferzeiten sind lang und derzeit ist „nicht absehbar, wann die Laternen wieder in Betrieb gehen können“. Der ungleiche Kampf zwischen Hund und Mast ist vorerst entschieden. Die Gegenoffensive der Lampenfraktion scheitert am Sanierungsstau.
Viersen ist nicht alleine. Nach Angaben des aktuellen Kommunalpanels der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) beträgt der Investitionsrückstand in den deutschen Kommunen 159,4 Milliarden Euro. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet das einen Anstieg von 10 Milliarden. Nach wie vor sind die Schulen (45,6 Milliarden Euro) am Stärksten vom Sanierungsstau betroffen. Auf Platz 2 folgen die Straßen mit 39,3 Milliarden Euro. Die Daten für das „Kommunalpanel 2022“ wurden im vergangenen Herbst erhoben. Ukrainekrieg und Sanktionspolitik spielen also keine Rolle. Außerdem bezieht sich die Untersuchung auf den „wahrgenommenen Investitionsrückstand“. Damit sind nur die bekannten Sanierungslücken erfasst, die behoben werden müssten, um „bestehende Infrastrukturen in den gesetzlich vorgeschriebenen Stand zu versetzen“. Dass sich dieser „vorgeschriebene Stand“ erheblich von dem unterscheidet, was sich fortschrittlich denkende Menschen unter einer gut ausgestatteten Kommune vorstellen, muss nicht lange erläutert werden.
Die Gemeinden scheitern schon seit Jahren daran, die bestehende Infrastruktur zu erhalten. 31 Prozent der befragten Kommunen konnten den laufenden Unterhalt im Wohnungswesen in den letzten fünf Jahren „nur in geringem Umfang“ oder „gar nicht“ bewerkstelligen. Nur 5 Prozent gelang das nach eigenen Angaben „vollständig“. Den Unterhalt der Gesundheitsinfrastruktur leisteten 18 Prozent der Städte und Gemeinden „gar nicht“. Im Jahr 2022 wollen die Kommunen insgesamt 40,6 Milliarden Euro investieren. Allerdings zeigen die Erfahrungen der Vergangenheit, dass etwa ein Drittel der geplanten Investitionen nicht umgesetzt werden. Ein weiterer Teil des Pakets wird von den rasch anziehenden Baukosten „gefressen“.
Der Kampf gegen den Verfall bleibt ein Wettlauf mit der Zeit. Die Bedingungen dafür sind trotz steigender Steuereinnahmen schlecht. Die Zugewinne kommen vor allem einigen „strukturstarken“ Regionen zugute (man denke an Mainz und die BioNTech-Milliarde). Ärmere Gemeinden bleiben außen vor. Hinzu kommen „nicht-monetäre Investitionshemmnisse“, die das KfW-Kommunalpanel aufzählt: Personalmangel, Materialmangel, Mangel an Kapazitäten im Baugewerbe. Würden wir nicht im kapitalistischen Wunderland leben, man könnte glatt von einer Mangelwirtschaft sprechen. Die schlechte Lage der Kommunen ist nicht naturgegeben und sie darf kein Vorwand sein, Löhne zu drücken oder Tarifverhandlungen zu behindern, wie es die kommunalen Arbeitgeberverbände immer wieder versuchen. Sie ist politisch gewollt und herbeigeführt von den Kräften, die die Aufrüstung im Grundgesetz verankern, Ölkonzerne mit Steuergeldern füttern und lieber das deutsche Großmachtstreben finanzieren als bessere Krankenhäuser, Wohnungen und Schulen zu bauen.