Wenn es nach den Wünschen der Unternehmen ginge, wären wir nichts anderes als Austauschware und im Zuge von Wirtschaftskrisen und einem Wandel in der Industrie gerade so verschieb- und abbaubar, wie es gerade passt.“ So beschrieb die lokale IG Metall schon im vergangen Jahr ebenso nüchtern wie zutreffend die Lage der Beschäftigten bei Buderus Edelstahl. Rund 180 Vollzeitstellen wurden damals im Stahlwerk in Wetzlar gestrichen. Inzwischen steht die Existenz des gesamten Standorts auf dem Spiel. Geht es nach dem Besitzer – dem österreichischen Stahl- und Technologiekonzern voestalpine – soll das Werk im Lahn-Dill-Kreis verkauft werden. Was dann aus den noch verbliebenen rund 1.250 Beschäftigten wird, steht in den Sternen.
Damit nicht genug. Ende März wurde bekannt, dass Continental seine hessischen Standorte in Wetzlar und Schwalbach bis Ende 2025 schließen will. Insgesamt 1.200 Stellen sollen – wenn es nach der Konzernleitung geht – gestrichen und weitere 1.100 Arbeitsplätze ins Rhein-Main-Gebiet verlagert werden. Dies ist Teil des im Februar angekündigten „Konsolidierungsprogramms“. Weltweit sollen 7.150 Stellen wegfallen und Standorte zusammengelegt werden.
Massiver Stellenabbau findet nicht nur bei Continental, sondern auch bei den Automobilzulieferern ZF und Bosch oder dem Autokonzern Volkswagen statt. Deutschlands größter Stahlhersteller Thyssenkrupp hat ebenfalls angekündigt, seine Produktionskapazitäten deutlich zu reduzieren und Jobs abzubauen. Und der neue Bayer-Chef Bill Anderson machte im „Handelsblatt“ keinen Hehl daraus, dass der geplante Kulturwandel des Chemiekonzerns noch viele Jobs kosten wird.
So funktioniert „Transformation der Wirtschaft“, wenn man die Prozesse den Vorstellungen der Kapitalseite überlässt. Statt den technologischen Fortschritt für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen aller zu nutzen, stehen Profite und Dividendenausschüttungen an die Aktionäre im Mittelpunkt der wirtschaftlichen Entscheidungen in den Vorstandsetagen.
Als vermeintliche Sachzwänge hierfür müssen reale Veränderungen in der Produktionsweise herhalten: Traditionelle Industrien verlieren in Folge von Digitalisierung, Dekarbonisierung und zunehmender Internationalisierung von Produktions- und Wertschöpfungsketten an Bedeutung. Gleichzeitig entstehen in Form von Digitalkonzernen wie Google, Facebook oder Amazon neue Schlüsselindustrien. Um mit dieser Entwicklung Schritt zu halten, stellen sich auch die heimischen Konzerne wie Conti, Bosch, Opel oder VW neu auf. Sie werden selbst zu Digitalkonzernen. Investitionen fließen verstärkt in die Forschungsabteilungen und den IT-Bereich. Gleichzeitig droht in den Werkshallen der Verlust von hunderttausenden gut bezahlter, tariflich abgesicherter Arbeitsplätze in gewerkschaftlich hoch organisierten Bereichen.
Der Umstieg auf Elektromobilität und Wasserstofftechnologien verstärkt diesen Trend. Kommen dann noch hohe Industriestrompreise in Folge von Sanktionen und Wirtschaftskrieg hinzu, gehen in den Stahlwerken, Gießereien und anderen Betrieben der energieintensiven Branchen buchstäblich die Lichter aus.
Von diesem allgemeinen Trend ist das Industriegebiet zwischen Lahn, Dill und Sieg in besonderer Weise betroffen. Hier ist es zwar nicht wie in Wolfsburg oder Baunatal ein Großbetrieb, von dem die Zukunft einer ganzen Region abhängt. Es ist ein Mosaik aus Betrieben, vorwiegend der Metall- und Elektroin dustrie, das die Wirtschaftsstruktur im „kleinen Ruhrgebiet“ an der Grenze zu NRW bestimmt. Häufig gehören die Betriebe international agierenden Konzernen oder Aktiengesellschaften. Nicht wenige wechseln innerhalb weniger Jahre mehrmals den Besitzer.
In der Folge waren die Beschäftigten und ihre Gewerkschaft schon in der Vergangenheit immer wieder mit Umstrukturierungsmaßnahmen, Stellenabbau und Werkschließungen konfrontiert. Schon damals halfen weder Hilferufe an die Politik noch Appelle an die vermeintliche „Sozialpartnerschaft“, sondern nur entschlossener Widerstand.