Türkischer Einmarsch stört Kooperation der YPG mit den USA

Wendepunkt für syrische Kurden

Von Isaak Funke

US-Vizepräsident Joe Biden hat während seines Türkei-Besuches in der vorigen Woche die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Nordsyrien aufgefordert, sich auf das östliche Ufer des Euphrat zurückzuziehen. Am gleichen Tag hatte in den frühen Morgenstunden die türkische Armee zusammen mit Einheiten der Freien Syrischen Armee (FSA) die nordsyrische Grenzstadt Dscharablus angegriffen. Zwei Tage später erklärte US-Außenminister John Kerry, dass die Vereinigten Staaten einen eigenständigen kurdischen Staat ablehnen.

Diese Erklärungen markieren einen Wendepunkt in den Beziehungen zwischen den USA und den kurdischen Kräften in Syrien. Bisher stützten sich die USA im Kampf gegen den IS neben angeblich „moderaten“ arabischen Aufständischen, die mehr gegen die syrische Regierung als gegen die IS-Terroristen kämpfen, hauptsächlich auf die weitaus kampfstärkere kurdische Miliz. Mit dem Angriff türkischer Truppen, die eine sichere Zone in Nordsyrien für FSA-Rebellen schaffen, sind die USA deutlich weniger auf die YPG angewiesen.

Schon im Juli hatte ein Mitarbeiter einer US-amerikanische Denkfabrik gefordert, arabische Rebellen stärker aufzurüsten, um die YPG auszubalancieren. Fabrice Balanche, der regelmäßig Analysen für das „Washington Institute for Near East Policy“ schreibt, warf der YPG vor, mit der syrischen Regierung und Russland zu kooperieren. Die Haltung der YPG im Kampf um Aleppo – dort ermöglichte sie den Assad-Truppen, einen Ring um den von Rebellen besetzten Ostteil der Stadt zu bilden – sowie einige weitere Beispiele würden zeigen, dass sich die YPG eher auf die von Russland getragene Allianz statt auf das westliche Bündnis zubewegen würde. Wenn die YPG nach der Eroberung von Manbidsch weiter westlich vorrückt, ist dies ein Zeichen dafür, dass die YPG sich endgültig auf die Seite der „Assad-Putin-Allianz“ stellt, schrieb Balanche damals. Sollte sie aber gegen die vom IS kontrollierte Stadt Rakka marschieren, sei eine weitere Zusammenarbeit mit ihr aus westlicher Sicht möglich.

Eingetreten ist das erste Szenario. Nach der Vertreibung des IS aus Manbidsch vor zwei Wochen gründeten die Demokratischen Kräfte Syriens (SDF – ein multiethnisches Bündnis, das hauptsächlich von der YPG getragen wird) weitere Militärräte, um Städte westlich und nördlich von Manbidsch zu befreien.

Allerdings lieferten sich regierungsnahe Milizen und die YPG tagelange Gefechte in Hasakah. Obwohl die Stadt überwiegend von kurdischen Kräften kontrolliert wird, sind regierungsnahe Kräfte noch in einigen Vierteln präsent. Ein Waffenstillstand konnte erst dank russischer Vermittler erreicht werden. Aber diese Kämpfe könnten paradoxerweise auch Anzeichen einer kurdisch-russischen Annäherung sein: einige Beobachter bemerkten, dass die Kämpfe in dem Gebiet stattfanden, wo sich die für auswärtige Beziehungen verantwortliche kurdische Behörde befindet. Während die Kontakte zwischen den syrischen Kurden und Moskau bis dahin meist über syrische Kanäle gelaufen seien, hätte die YPG vor den Kämpfen das erste Mal versucht, direkte Kontakte zu Russland zu knüpfen.

Derweil toben die Kämpfe im syrisch-türkischen Grenzgebiet weiter. Unbestätigten Berichten kurdischer Quellen zufolge setzten protürkische Rebellen Giftgas gegen die dort ansässigen Dorfbewohner ein. Den türkischen Angriffen seien dutzende Zivilisten zum Opfer gefallen.

Entgegen ersten Meldungen erklärten die SDF-Kämpfer, dass sie sich nicht zurückziehen würden, und eine YPG-Sprecherin sagte, dass ihre Organisation nicht auf die USA angewiesen sei.

Damaskus und Moskau kritisierten die türkische Militärintervention. Das russische Außenministerium erklärte, dass eine politische Lösung des Syrien-Konfliktes nur unter Beteiligung aller religiösen und ethnischen Gruppen – einschließlich der Kurden – möglich sei. Leonid Iwaschow, Vorsitzender der russischen Akademie für geopolitische Fragen, dementierte Meldungen türkischer Medien, wonach der türkische Angriff mit Moskau abgestimmt gewesen sei. Russland bestehe auf internationalem Recht, das die Türkei nicht beachte.

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"Wendepunkt für syrische Kurden", UZ vom 2. September 2016



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