In Südafrika findet das 15. BRICS-Treffen statt

Wendepunkt der Geschichte?

Das 15. BRICS-Treffen, das bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe von UZ begann, dürfte sich zu einem Mega-Event entwickeln. Über 70 Delegationen aus den Staaten des Globalen Südens, aus dem arabischen Raum und aus Eurasien werden im Sandton Convention Centre (SCC) in Johannesburg über die Zukunft der BRICS diskutieren. 23 Staaten haben offiziell die Aufnahme in die BRICS-Gruppe beantragt. Dazu haben in etwa ebenso viele informell ihr Interesse bekundet. Die Befreiung von den Zwängen und Risiken, die durch die Politisierung der Weltreservewährung US-Dollar und die Überschuldung der USA entstanden sind, wird zu einer immer dringenderen Aufgabe. Die BRICS-Staaten stehen vor großen und wichtigen Entscheidungen. Will man, kann man diese vielen neuen Länder in die Gemeinschaft aufnehmen? Welches Selbstverständnis wird diese BRICS-Plus – oder wie auch immer die neue Organisation heißen wird – dann haben? Welche Prinzipien und Strukturen werden erforderlich sein, damit diese entstehende Organisation des Globalen Südens eine deutliche Stimme und geopolitischen Einfluss erlangt? Welche ökonomischen und finanzpolitischen Implikationen und Erfordernisse sind zu bedenken, zu adressieren und zu forcieren?

Nach dem Korea-Krieg, der ebenso wie der Ukraine-Krieg für die Hegemonieinteressen der US-Imperialismus ausgetragen wurde, fand vom 18. bis zum 24. April 1955 im indonesischen Bandung eine große „afro-asiatische Konferenz“ von 29 Staaten statt. Diese „Bewegung der blockunabhängigen Staaten“ (NAM) war in gewisser Weise der Vorläufer von BRICS. NAM gewann rasch an Größe und Einfluss, bis es den USA in den 1980er-Jahren gelang, sie mithilfe des von ihnen provozierten, finanzierten und ausgerüsteten Afghanistan-Krieges zu spalten. Allerdings hatte NAM nicht annähernd das ökonomische und militärische Gewicht, über das die BRICS-Staaten mit ihrer New Development Bank schon vor ihrer Erweiterung zu einer globalen multipolaren Bewegung verfügen können.

Die fünf BRICS-Staaten produzieren zusammen ein Bruttoinlandsprodukt (BIP) von etwa 56,65 Billionen US-Dollar und damit etwa 32,5 Prozent des Welt-BIP. Würden alle 23 Staaten in einen BRICS-Plus-Verbund aufgenommen, so läge das kumulierte BIP bei 78,05 Billionen US-Dollar, das entspräche nahezu der Hälfte des globalen BIP. Eine solche Gruppe würde schon aufgrund ihrer schieren Größe, ihrer geografischen Ausdehnung, ihrer Bevölkerungszahl, ihrer ökonomischen Masse, ihres ungeheuren Marktes und ihrer Rohstoffressourcen und Energiereserven eine enorme Gravitationswirkung entfalten.

Hier sei noch einmal darauf verwiesen, dass die BIP-Kennziffer aufgrund der politisierten BIP-Konstruktion die wahre ökonomische Stärke nur ungenügend bis verzerrt widerspiegelt. Die wahre Bedeutung der Realökonomie – beispielsweise hinsichtlich der Rohstoff- und Energieressourcen – wird im Gegensatz zur gehypten, aber parasitären Finanzindustrie strukturell unterschätzt. Beispielsweise wären bei einer entsprechenden Erweiterung mit Algerien, Brasilien, Iran, Kasachstan, Kuwait, Nigeria, Russland, Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Venezuela die wichtigsten OPEC- und OPEC-Plus-Staaten mit an Bord. Wie die USA und Saudi-Arabien nach dem Zweiten Weltkrieg, hätten die BRICS Plus in Verbindung mit OPEC heute die Fähigkeit, die wichtigsten Preise überhaupt – die Öl- und Gas-Preise – erheblich zu beeinflussen und den Entdollarisierungsprozess massiv zu beschleunigen.

In der Perspektive einer Beschleunigung der realökonomischen Entwicklung läge auch eine engere Zusammenarbeit mit anderen Organisationen jenseits der US-Hegemonie – wie zum Beispiel der Shanghai Cooperation Organisation (SCO), der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft (EAEU), der Arabischen Liga (AL), der Afrikanischen Union (AU) und dem Golf-Kooperationsrat (GCC) – und natürlich eine Verzahnung mit der Belt and Road Initiative (BRI). So wäre eine Verbindung der einzelnen Entwicklungs- und Handelspotentiale zu einer echten, sagen wir diskriminierungsarmen und produktiven Zusammenarbeit möglich.

Top-Priorität des BRICS-Treffens hat das komplizierte Problem der Entdollarisierung. Verlöre der US-Dollar seinen Status als Weltreservewährung, sei das „schlimmer als jeden Krieg zu verlieren“, hatte Donald Trump die US-Sicht auf das Problem deutlich gemacht. De facto ist die Entdollarisierung allerdings längst auf dem Weg. Saudi-Arabien verkauft Öl an China für Renminbi, Abu Dhabi verkauft Öl an Indien auf der Basis von Rupien und Dirham. Der russische Export wird größtenteils in Rubel abgewickelt. Der russisch-chinesische Handel – in Rubel und Renminbi – schießt durch die Decke und wird die angepeilte Marke von 200 Milliarden US-Dollar 2023 vorzeitig überspringen. Alles vor wenigen Jahren unvorstellbar. Die bevorstehende BRICS-Erweiterung macht die Einführung einer – wie auch immer konstruierten – gemeinsamen Währung allerdings nicht gerade einfacher. Aus heutiger Perspektive erscheint, neben den bilateralen nicht dollarbasierten Handelsströmen, die Vorbereitung eines gemeinsamen gold- und rohstoffbasierten Verrechnungsvehikels – ähnlich dem von John Meynard Keynes 1944 in Bretton Woods vorgeschlagenen „Bancor“ – prioritär. Die Probleme, die für viele europäische Staaten mit der von Deutschland durchgesetzten Euro-Konstruktion entstanden sind und weiter bestehen, dürfte man sich wohl lieber ersparen wollen.

Afrika ist im Aufbruch. Südafrika ist für die BRICS-Gruppe so etwas wie das Sprungbrett in den Kontinent. Sechs afrikanische Staaten haben offiziell Aufnahme in den Staatenbund beantragt. Das BRICS-Treffen könnte zu einem Wendepunkt in der Geschichte Afrikas und des Globalen Südens werden.

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"Wendepunkt der Geschichte?", UZ vom 25. August 2023



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