Ein Doku-Zweiteiler über die Profitmacherei mit dem Wohnen

Wem gehört die Stadt?

Eine Stunde blieb den Bewohnern an der Berliner Habersaathstraße, um ihre Wohnungen zu verlassen. Dann kam der mit Hämmern und Eisenstangen bewaffnete Räumtrupp. Badezimmer wurden zerschlagen, Fenster aus dem Rahmen gerissen, das Warmwasser abgedreht, die Stromzähler ausgebaut. Die Kamera folgt einer Mieterin, die fassungslos durch eine zerstörte Wohnung führt. Von einer „kalten Räumung“ spricht Daniel Dieckmann vom Mieterrat. Er hatte die Polizei informiert, doch die wollte sich nicht einmischen, berichtet er später.

Es sind diese Bilder, mit denen es den Machern der zweiteiligen Dokumentation „Sold City“ gelingt, den Wahnsinn auf dem deutschen Wohnungsmarkt konkret zu machen. Die Zuschauer folgen einem älteren Ehepaar, das aus der Wohnung geklagt wird und entgegen allen Versprechen nicht mehr zurückkehren darf. Sie leiden mit einer sechsköpfigen Familie aus Köln, die wegziehen muss, weil die Sozialbindung ihres Mietshauses abläuft. Nun hat der Vermieter „Eigenbedarf“ angemeldet – mehrere Wohnungen sollen zu einer 400 Quadratmeter großen Luxusbleibe zusammengelegt werden; 15 Menschen fliegen raus. „Schlüssig“ findet das die zuständige Richterin und setzt die Familie vor die Tür.

Die Sterilität des Gerichtssaals bildet nur an der Oberfläche einen Kontrast zu den Wildwestmethoden anderer Vermieter. Wer der Gerichtsvollzieherin zusieht, die begleitet von einem Polizeitrupp durch die Straßen stapft, während ein alter Mann in seiner Wohnung hockt und auf den Rauswurf wartet, erkennt sofort, dass der vermeintlich geordnete „Rechtsweg“ nur ein weiteres Instrument zur Durchsetzung der gleichen Interessen ist.

Leslie Franke und Herdolor Lorenz, die „Sold City“ gedreht haben, lassen keinen Zweifel daran, auf wessen Seite sie stehen. Ihre „Filme von unten“ kommen nah heran. Die Dreh-orte in den Wohnungen der Betroffenen schaffen Intimität, zeigen die Heimat der Protagonisten fast beiläufig als Kulisse eines von der Profitmacherei zerstörten Alltags. Doch der so eingefangene Schrecken ist kein effekthascherischer Selbstzweck. Die Filme begleiten Menschen, die sich wehren.

„So traurig die ganze Sache ist, was mich begeistert ist, dass wir plötzlich uns alle kennenlernen“, sagt eine Frau am Rande eines Nachbarschaftsfestes in Neukölln. Gerade wurden ihre Wohnungen an einen privaten Investor verkauft, nun rücken die Mieter zusammen. Die Filme schlagen eine Brücke von der Solidarität der direkt Betroffenen untereinander hin zur Notwendigkeit eines darüberhinausgehenden Widerstands. Die analytischen Grundlagen liefert der Berliner Stadtsoziologe Andrej Holm, der in kurzen Einblendungen die politisch-ökonomischen Hintergründe von Mietenwahnsinn und Ausverkauf erläutert. Das gelingt meist treffsicher, etwa wenn Holm den „sozialen Wohnungsbau“ als „Subventionierung privater wirtschaftlicher Interessen mit einer sozialen Zwischennutzung“ charakterisiert.

Um dem Problem auf den Grund zu gehen, wird auch außerhalb Deutschlands geforscht. In London wird dem Team das Filmen verboten, weil es sich in einem vollständig privatisierten Stadtviertel befindet. „Entscheidung des Managements“, sagt eine Angestellte auf offener Straße und bringt damit die Verheerungen der neoliberalen Stadtentwicklungspolitik auf den Punkt. Doch die Reise geht auf der Suche nach anderen Modellen auch nach Wien oder Singapur.

Gerade im zweiten Teil wird mithilfe dieses geweiteten Blickes deutlich, dass die zentrale Frage der Wohnungsproblematik die nach dem Eigentum an Grund und Boden ist. Stück für Stück fügt sich alles zusammen: Kapitalüberschüsse, die angelegt werden müssen und ins „Betongold“ abfließen. Das Agieren der Konzerne, die Kosten senken und Mieten erhöhen, um den Gewinn zu steigern, und die Abhängigkeit der Mieter, deren Existenz bestenfalls geduldet wird, solange sie für die immer höhere Verzinsung des eingesetzten Kapitals aufkommen können.

Ein wenig schade ist, dass gegen Ende vor allem sozialdemokratische Berufspolitiker auftreten, um zu erklären, dass höhere Bodenpreise zu steigenden Mieten führen. Hier hätte es geholfen, noch einmal nach Andrej Holm zu rufen. Der hatte in seinem Buch „Objekt der Rendite“ nämlich treffend festgestellt, dass die Mietpreise in München nicht „höher als in Chemnitz (sind), weil die Grundstücke dort viel teurer sind, sondern vielmehr gilt umgekehrt: Die Grundstückspreise in München sind so hoch, weil dort höhere Mieten erwartet werden können.“ Dieser Aspekt geht leider unter.

Dadurch wird der Wert der Filme jedoch nicht geschmälert. Selten wurde die dramatische Situation am Wohnungsmarkt so eindrucksvoll aufgefangen. Die begleiteten Proteste zeigen Ansatzpunkte für eine mögliche Gegenwehr. Dabei muss vieles offen bleiben, etwa die endgültigen Auswirkungen der innerhalb des Films mit großer Sympathie begleiteten Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen!“ in Berlin. Doch gerade hier bieten sich Möglichkeiten für produktive Diskussionen im Anschluss an einen interessanten Filmabend.

SOLD CITY – Wenn Wohnen zur Ware wird
von Leslie Franke und Herdolor Lorenz
Teil 1 – Eigentum vor Menschenrecht?
Teil 2 – Enteigung statt Miete für die Rendite
je 102 Minuten
Eine Liste der Aufführungen und die Möglichkeit, die Filme für eigene Veranstaltungen zu bestellen, gibt es hier.

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"Wem gehört die Stadt?", UZ vom 31. Mai 2024



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