Nach dem Willen deutscher Politiker soll die EU sich als militärische Macht positionieren

Weltpolitikfähig

Deutsche Politiker hatten den Wahlsieg von Donald Trump unmittelbar zum Anlass genommen, einmal mehr den Aufbau einer eigenständigen, global operierenden Macht EU zu fordern. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck erklärte bereits am 6. November in einem offiziellen Gratulationsschreiben an Trump, „auf Europa“ werde „mehr Verantwortung in der Welt zukommen – gerade sicherheitspolitisch“. „Europa“ müsse deshalb in Zukunft „als starker Akteur in der Weltpolitik handeln“. Ähnlich äußerte sich CDU-Parteichef Friedrich Merz. In seiner Gratulation an Trump betonte er, „Europa“ müsse „Verantwortung für die eigene Sicherheit übernehmen“ und „aus eigener Kraft heraus weltpolitikfähig werden“.

Ähnliche Stimmen wurden nicht nur auf Bundes- und Europaebene laut. So forderte etwa auch Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) kurz nach der Wahl in den USA: „Wir müssen jetzt die europäische Souveränität stärken.“ Der European Director der einflussreichen Denkfabrik Trilateral Commission, Josef Braml, drang explizit darauf, die EU müsse „weltpolitikfähig“ werden, „um Europas Sicherheit und Wohlstand zu verteidigen“. Dabei solle sie vor allem „ihre Verteidigung stärken“.

Die Kontinuität des deutschen Vorhabens, die EU als militärisch eigenständig handlungsfähige globale Macht zu positionieren – und zwar unter deutscher Führung –, verkörpert exemplarisch Ursula von der Leyen. Im Jahr 2015 erklärte sie, damals noch als Bundesverteidigungsministerin, auf der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC), Deutschland sei – auch in der EU – „bereit zu führen“. Ihre Rede leitete sie mit den Worten ein, die Bundesrepublik wolle zwar „transatlantisch bleiben“, aber auch „europäischer werden“. Drei Monate später, im Mai 2018, kündigte sie auf der Bundeswehrtagung an: „Wir wollen die Europäische Verteidigungsunion.“ Bei Antritt ihrer zweiten Amtszeit als EU-Kommissionspräsidentin erklärte sie, unter anderem auf den Aufbau einer „echten Europäischen Verteidigungsunion“ fokussieren zu wollen. Tatsachen schaffen soll der EU-Verteidigungskommissar, dessen Posten neu eingerichtet wurde. Freilich ist seine Tätigkeit zunächst noch auf die Koordination der Aufrüstung in der EU beschränkt; er gilt als „Kommissar für die Rüstungsindustrie“.

Erster EU-Verteidigungskommissar ist Andrius Kubilius, ein ehemaliger Premierminister Litauens und Ex-Berater des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko. Kubilius hat ein neues Strategiepapier zu „Sicherheit und Verteidigung“ angekündigt; er erklärt, „viele Länder“ hätten in Sachen Aufrüstung „einen gewaltigen Nachholbedarf“. Unterdessen treiben andere die Debatte weiter und über unmittelbare Aufrüstungsfragen hinaus. Zentrale Forderungen mit Blick auf eine eigenständige Außen- und Militärpolitik der EU finden sich etwa in einer Analyse, die die MSC im September veröffentlicht hat – unter dem Motto, die EU müsse „sanften Worten“, die sie bisher angeblich gepflegt habe, „harte Macht“ folgen lassen. So sollten die Verhandlungen über das European Defence Industry Programme (EDIP) im ersten Halbjahr 2025 abgeschlossen werden. Von der Leyen habe für die ersten 100 Tage ihrer Amtszeit ein „Weißbuch über die Zukunft der europäischen Verteidigung“ angekündigt. Aktualisiert werden müsse zudem der „Strategische Kompass“ der EU.

Besonders dringlich sei laut MSC eine enge Kooperation mit der Ukraine, um deren Rüstungsindustrie durch gemeinsame Projekte und Programme wie das EDIP zu stärken, heißt es in dem Papier. Bei der Zusammenarbeit mit Britannien gehe es insbesondere darum, britische „Beiträge zu EU-Missionen und -Operationen“ zu ermöglichen; schrittweise solle man dabei zu einem „ehrgeizigen Sicherheits- und Verteidigungspakt“ finden. Nicht zuletzt sollten im künftigen Finanzrahmen der EU die Mittel für die Rüstungs- und Militärpolitik auf ein „substanzielles“ Maß erhöht werden, einschließlich einer Aufwertung des Europäischen Verteidigungsfonds, der Forschung, Entwicklung, Produktion und gemeinsame Beschaffung fördert. Dabei dringt die MSC-Analyse darauf, die sogenannte Europäische Friedensfazilität in den EU-Finanzrahmen zu integrieren. Aus dieser soll gegenwärtig die militärische Unterstützung der Ukraine finanziert werden; allerdings verhindert Ungarn dies mit seinem Veto. Zwar steht Artikel 41(2) des Vertrags über die Europäische Union der Finanzierung von Militärausgaben aus dem EU-Haushalt entgegen. Die MSC-Analyse deutet allerdings an, möglicherweise sei eine „strikte Interpretation“ des Paragraphen nicht nötig.

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"Weltpolitikfähig", UZ vom 20. Dezember 2024



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