Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man sich über den Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer köstlich amüsieren. Seine oft rassistisch konnotierten Aussagen über nicht integrierbare Flüchtlinge haben den Provinz-Sarrazin ein ums andere Mal über Tübingen hinaus in die Presse gebracht. Zuletzt sorgten sein Eingreifen als Ortspolizeibehördenleiter gegen einen schnippischen Studenten sowie seine Verärgerung über zu wenig Weiße auf der Homepage der Deutschen Bahn bundesweit für Aufsehen. Vor knapp drei Jahren wetterte er auch einmal über sein Lieblingsmedium „Facebook“ gegen die ortsansässige SDAJ, weil er sie verdächtigte, bei einem Tübinger Musikfestival Bier auf seinem Anzug verschüttet zu haben. Immer wieder werden scheinbare Kleinigkeiten durch ihn auf eine Weise aufgebauscht, die vor allem garantieren, dass „König BoPal“ Gesprächsthema Nummer Eins bleibt. Parteifreunde legen Palmer seit Jahren nahe, die Partei zu wechseln, jüngst am 1. Mai wiederholt von Claudia Roth. Bereits in der Vergangenheit hat die AfD Palmer eine Mitgliedschaft angeboten. Auch in und um Tübingen distanzieren sich immer wieder Grüne, wenn auch weniger fleißig als außerhalb des Ländles. Nicht zuletzt deshalb hängen derzeit an vielen Tübinger Laternenmästen offene Briefe der Berliner Grünen, die die ortsansässigen Grünen zu einem Parteiausschlussverfahren ermuntern wollen.
So haarsträubend und rassistisch das Auftreten von Boris Palmer auch ist, noch schlimmer ist nur die falsche Kritik an ihm. Palmer überspitzt, verdreht und verallgemeinert Probleme und landet am Ende fast immer zielsicher bei rassistischen Positionen. Nur, viele der Probleme, die er thematisiert – Wohnungsnot, Kriminalität, linke Identitätspolitik – existieren real. Freilich hat Palmer keine ernsthaften Lösungen anzubieten, ihm geht es um Selbstinszenierung. An der Werbung der Bahn könnte man bseispielsweise kritisieren, dass sie dazu dient, die Bahn als besonders divers und weltoffen darzustellen, wo doch bekannt ist, dass die Bahnpolizei bei Personenkontrollen gezielt Schwarze herausgreift. Dass auf der Homepage der Bahn nur eine von fünf dargestellten Personen weiß ist, gehört schlicht zur Unternehmensstrategie. Denn „eine vielfältige Belegschaft macht die Deutsche Bahn erst wettbewerbsfähig“, wie die DB selbst erklärt. Die Werbung ist irreführend, weil Leute wie Nelson Müller oder Nazan Eckes nicht repräsentativ für die Lebensrealität der meisten Migrantinnen und Migranten in Deutschland sind. Die liberale Zivilgesellschaft kommt indes kaum darüber hinaus, sich über Palmer lustig zu machen. Es ist ihre vermeintliche politische Korrektheit, die hilft, Palmer als jemanden darzustellen, der sich noch traut, unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Die falsche Kritik der scheinbar weltoffenen und linksliberalen Mehrheit ist der beste Erfolgsgarant für Palmer, AfD und Co.
Boris Palmer und Claudia Roth sind zu Recht beide bei den Grünen. Wovon ihr Zwist ablenkt, ist, dass beide für eine kapitalfreundliche Politik inklusive Kriegseinsätzen und Sozialabbau stehen. Für die Mehrheit der Menschen verbessert sich durch sie nichts. Kriminalität sinkt nicht durch rassistische Präventivmaßnahmen. Die Bahn wird nicht durch andere Imagekampagnen kundenfreundlicher. Rassismus bekämpft man nicht mit Maulkörben und Wohnraum wird nicht bezahlbar, indem man sich für den Rückkauf privatisierter Wohnungen stark macht. Palmer und Roth heizen beide auf ihre Weise die Fremdenfeindlichkeit im Land weiter an. Es ist ein altbekanntes Verwirrspiel, bei dem sich die Mehrheit der Grünen als besonders tolerant, kosmopolitisch und antirassistisch in Szene setzen kann, während sie gleichzeitig die weitere Rechtsentwicklung mit anheizen. Nicht der sich missverstanden fühlende Boris Palmer ist Opfer dieser Politik, sondern die Arbeiterklasse und Millionen Menschen, die aufgrund der Kriegspolitik der EU- und NATO-Staaten gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. Teil des politischen Establishments, das für die Lage dieser Menschen verantwortlich zu machen ist, sind auch Boris Palmer und Claudia Roth.