Globale Finanzelite bestätigt geldpolitischen Expansionskurs

Weitere Billionen in Aussicht

Die digitale Künstlichkeit der Videokonferenz, in der das traditionelle Treffen der Notenbanker und Finanzpolitiker in diesem Jahr in Jackson Hole, Wyoming, stattfand, war nicht nur der Covid-19-Pandemie geschuldet. Der Beobachter konnte sich ganz generell des Eindrucks nicht erwehren: Die Realität ist hier nicht zugelassen.

Jackson Hole ist nicht die einzige Institution, der es momentan so geht. Auch die virtuellen Wahl-Events der US-Demokraten und -Republikaner vermitteln diesen Eindruck. Die Politikverkäufer des US-Imperiums leben derzeit in einer anderen Welt.
Die Widersprüche könnten kaum krasser sein. Während in den USA mehr als 180.000 Menschen an Covid-19 gestorben sind, mehr als 50 Millionen Erstanträge auf Arbeitslosenunterstützung gestellt haben, hunderttausende kleine Geschäfte für immer schließen, ganze Straßenzüge in den großen Metropolen mit zugesperrten und verbretterten Geschäften ausgestorben sind wie in einer Geisterstadt, feiern die US-Milliardäre einen Reichtumsrekord nach dem anderen.

Allein Jeff Bezos (Amazon), der mit nun 200 Milliarden Dollar reichste Mensch der Welt, ist seit Mitte März 2020 um 80 Milliarden Dollar reicher geworden. Die US-Milliardäre, jene 0,00019 Prozent der Bevölkerung, sind durch das segensreiche Wirken von Kongress und US-Notenbank im gleichen Zeitraum (Stand 6. August 2020) um 685 Billionen Dollar reicher geworden.

Diese dramatische Ungleichentwicklung in der US-Bevölkerung, die täglich sich vertiefende Spaltung, bei der zig-Millionen ihre Kredite nicht mehr bedienen, ihre Mieten nicht mehr zahlen können und fast 30 Millionen Menschen unmittelbar von der Räumung ihrer Wohnung oder der Zwangsvollstreckung ihres Hauses bedroht sind, spielte in der betont bieder vorgetragenen Rede von Fed-Chef Jerome Powell so gut wie keine Rolle. Dagegen war sehr viel von den Erfolgen der Zentralbank in den vergangenen Jahren bei den Inflationszielen und der Beschäftigungspolitik zu hören. Da die Inflation in den vergangenen Jahren unter den als Ziel definierten zwei Prozent geblieben sei, so Powell, verfolge man nun einen flexiblen geldpolitischen Ansatz zur Erreichung dieses Ziels, der nicht durch mathematische Formeln eingeschränkt sei. Solche verklausulierten Formulierungen darf man getrost als Selbstautorisierung zum weiteren ungehemmten Gelddrucken verstehen. Billionen über Billionen sind „gedruckt“ und in Aussicht gestellt worden. Die Ultrareichen werden auch weiter rasant reicher werden.

Natürlich fehlte auch nicht das abstrakte Bekenntnis zum Ziel der Vollbeschäftigung. Aber es blieb völlig unklar, wie dies denn zu erreichen sein soll. Die US-Notenbank hat das Prinzip „Privat vor Staat“ schon früh durchgesetzt. 1913 konnte sich das in den großen US-Banken konzentrierte Finanzkapital die Herrschaft über die Geldpolitik des Staates sichern und eine eigene private Zentralbank gründen. Das US-Modell wurde, gewissermaßen stilbildend, zum internationalen Standard. Zentralbanken haben sich einer demokratischen Willensentscheidung entzogen und agieren autoritär als Exekutivinstitution des jeweiligen nationalen – oder wie im Falle der Europäischen Zentralbank (EZB) europäischen – Finanzkapitals. Bei den Entscheidungen über die Inflation der Geldmenge oder die Erhöhung und Senkung der Zinsen, den Kauf von Staats- und Unternehmenspapieren stehen seither die Interessen der mächtigsten Teile des Finanzkapitals im Vordergrund. Und genauso sehen die Entscheidungen der Fed und der übrigen großen Zentralbanken EZB, Bank of England, Bank of Japan oder der Schweizer Nationalbank auch aus.

Auf der anderen Seite lassen die neoliberal überschuldeten Staatshaushalte kaum Luft für eine wirkliche Konjunkturpolitik, für strukturelle Zukunftsinvestitionen, wie es in der Phase des New Deal und der Bretton-Woods-Kooperation der 1930er bis 1960er Jahre möglich war. Der New Deal war ein Infrastruktur-Modernisierungsprogramm, wie es heute in großem Maßstab die chinesische Belt-and-Road-Initiative darstellt. Für solche Projekte gibt es heute in den Zeiten des Shareholder Value, der Fixierung auf den kurzfristigen Profit, weder den Willen noch die politische Kraft. Egal, wer gerade im Weißen Haus oder auf dem Chefsessel der US-Zentralbank sitzt. Das einzige, was noch geht, ist das ungebremste Aufblasen der Währungsbasis. Mit welchen Folgen auch immer. Das ist das eigentliche Problem von Jackson Hole.

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"Weitere Billionen in Aussicht", UZ vom 4. September 2020



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