Am vergangenen Freitag berichtete „Der Spiegel“ in seinem Internetauftritt, ihm liege das zehnseitige Papier der Arbeitsgruppe Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik für die Koalition aus SPD, Grünen und FDP vor. Unter der Leitung des geschäftsführenden Außenministers Heiko Maas (SPD) seien sich die 22 Fachleute der drei Parteien weitgehend einig geworden. Aus Sicht des „Spiegels“ zeigt das Dokument „vor allem eines: Kontinuität“.
Auch der Begriff „Abschreckungspotential“, der zuerst vom Außenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Nils Schmid „im Zusammenhang mit dem Bekenntnis zur NATO“ in die Verhandlungen eingebracht und auf Widerstand der Grünen gestoßen sei, finde sich nun in dem Papier: „Vor dem Hintergrund der fortbestehenden Bedrohung für die Sicherheit Deutschlands und Europas nehmen wir die Sorgen insbesondere unserer osteuropäischen Partnerstaaten ernst, bekennen uns zur Aufrechterhaltung eines glaubwürdigen Abschreckungspotentials und wollen die Dialoganstrengungen der Allianz fortsetzen.“
Die faustdicke Lüge von der „fortbestehenden Bedrohung“ bleibt also Grundlage der Politik gegenüber Russland, das gemeint ist. Dem ordnet sich in dem Entwurf offenbar alles unter. Der Begriff „Abschreckungspotential“ erinnert an die Äußerung der noch amtierenden Kriegsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) vom 21. Oktober, die NATO müsse gegenüber Moskau „sehr deutlich machen, dass wir am Ende … bereit sind, auch solche (atomaren, d. Verf.) Mittel einzusetzen“. Das sei „der Kerngedanke der NATO“. Sie sagte das an dem Tag, an dem sie mit ihren NATO-Kollegen in Brüssel einen „Masterplan Abschreckung“ verabschiedete, der einer Vorbereitung zum Angriff gleichkommt.
Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich nannte kurz danach die Äußerungen Kramp-Karrenbauers „verantwortungslos“. Zuvor hatte der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu erklärt: „Vor dem Hintergrund von Rufen nach einer militärischen Abschreckung Russlands verlegt die NATO konsequent Truppen an unsere Grenzen. Wie das für Deutschland und Europa schon einmal ausgegangen ist, sollte die Verteidigungsministerin der BRD wissen.“ Gemeinsame Sicherheit in Europa könne es nur geben, wenn die Interessen Russlands nicht verletzt werden. Dem folgte eine offizielle diplomatische Note.
Das alles interessiert offenbar die neue Koalition ebenso wenig wie die alte. Die beschwichtigende Ankündigung einer „Abrüstungsoffensive“ und einer „restriktiven Rüstungsexportpolitik“ dürfte das Papier nicht wert sein, auf dem sie steht. SPD und Grüne räumen nämlich laut „Spiegel“ gegenüber der FDP Positionen zur Rüstung, mit denen sie zum Teil in den Wahlkampf gezogen waren. Im Papier, das zwar Kürzungen, aber wohl kaum inhaltliche Änderungen erfahren wird, stehen jetzt sowohl das Bekenntnis zur „nuklearen Teilhabe“ als auch das Hauptargument der Befürworter für die Anschaffung von Kampfdrohnen: „Bewaffnete Drohnen können zum Schutz der Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz beitragen.“ Deswegen soll „die Bewaffnung von Drohnen der Bundeswehr in dieser Legislaturperiode“ ermöglicht werden. Dem folgt wieder „Beruhigendes“, in Wirklichkeit Absurdes: Es gälten die „Regeln des Völkerrechts“, „extralegale Tötungen – auch durch Drohnen – lehnen wir ab“.
Die Formulierungen des Papiers sind extrem zynisch. Und es spricht Bände, wenn „Der Spiegel“ über den Abschnitt zu außenpolitischen Beziehungen berichtet, Grüne und SPD seien offenbar über die zu Russland „aneinander“ geraten. Deswegen solle der folgende Satz noch einmal umformuliert werden: „Wir nehmen gerechtfertigte Interessen Russlands ernst und achten gleichzeitig die Interessen unserer europäischen Nachbarn.“ Offensichtlich sind die Grünen an dem Punkt, russische Interessen für irrelevant zu halten.
Was „Der Spiegel“ zitiert, besagt, dass SPD, Grüne und FDP insbesondere gegenüber Russland den Kurs aggressiven Größenwahns und nationalistischer Verblendung fortsetzen wollen.