Zur Wiedereröffnung des Turms der Garnisonkirche

Weiter ohne Würde

„Das Wow-Wahrzeichen – erleben Sie Potsdam barrierefrei auf 57 Metern“, wirbt die Homepage der Garnisonkirche für einen Besuch des im Krieg zerstörten und soeben neu eingeweihten Turms.

Es braucht statt einer Aussichtsplattform eine Militärkirche, um sich die Stadt von oben anzuschauen? Die Garnisonkirche wurde zwischen 1730 und 1735 gebaut und verrät sich schon durch ihren Namen als Zeugnis des preußischen Militarismus und des nationalistischen Wahns, dem dieses Land in regelmäßigen Abständen verfällt. Ein Wahn, der in ebenso regelmäßigen Abständen von außen beendet werden muss und über den man sich gerade in Zeiten, wo man ihn vorantreibt, umso lauter echauffiert und seine Zurückweisung zur Staatsräson erhebt.

Denn der immer wieder neue Versuch, sich einen Weg zur Weltmacht zu formen, soll dadurch unentdeckt bleiben, dass man ihn angeblich bekämpft. So wie nach Brecht sich die Dummheit unsichtbar macht, indem sie riesige Ausmaße annimmt, so bricht sich das „Immer wieder“ Bahn, indem es sich als „Nie wieder“ ausgibt.

Bundespräsident Steinmeier hielt bei seiner Eröffnungsrede der Garnisonkirche am 22. August für wichtig, dass „wir Geschichte nicht beschönigen, nichts ausklammern, was unangenehm werden könnte“. Wer wie Steinmeier als damaliger Außenminister im politischen Rahmen der EU und für die NATO den ukrainischen Nationalisten und Rechtsextremisten den Weg zur Macht in Kiew ebnete, hat angesichts der Unterstützung für Südafrikas Apartheid, Pinochet-Diktatur oder Ustascha-Faschisten nicht etwa nichts aus der eigenen Geschichte gelernt, wie manche der BRD-Außenpolitik seit 1949 nachsagen, sondern er wendet sie vielmehr konsequent auf dem Weg der Restauration des Nationalismus an und geht dafür über Leichen – zur Zeit sind das wieder russische.

Der Nationalismus ist bekanntlich das, was bleibt, wenn es an Selbstwert mangelt. Die kaum zu verunsichernden Bewohner der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires sagen dagegen scherzhaft-selbstkritisch, dass ihnen der beste Blick über die Stadt gelingt, wenn sie sich auf ihr eigenes Ego stellen. Vielleicht brauchen die Entscheider des Nachfolgestaats Preußens und des Dritten Reichs die 57 Meter Leichenberge, um einen Wow-Effekt zu bekommen, weil es ihnen an dem fehlt, was dem gesunden Menschen Würde und Selbstbewusstsein sind.

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"Weiter ohne Würde", UZ vom 30. August 2024



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