Gérard Depardieu gibt den Kult-Kommissar

Wein, Weib und Maigret

Nicht weniger als 75 Romane hat der belgische Romanautor Georges Simenon um seinen Kriminalkommissar Maigret geschrieben. Sie waren Grundlage Dutzender Verfilmungen, Weltstars wie Michel Simon, Jean Gabin, Gino Cervi, Richard Harris und Charles Laughton haben den Pfeife rauchenden Ermittler schon gespielt, sogar Heinz Rühmann und „Mr. Bean“-Darsteller Rowan Atkinson. Nun also auch die derzeitige Nr. 1 in Frankreichs Starriege, Gérard Depardieu, der in letzter Zeit mehr als Putin-Freund als durch neue Filme Schlagzeilen machte. In einer TV-Serienepisode „Les enquêtes du commissaire Maigret“ hatte er zwar schon in den 1970ern in einer Nebenrolle mitgewirkt, aber für seinen großen Maigret-Auftritt brauchte er einen Regisseur von größerem Kaliber, einen wie Patrice Leconte, der sich schon 1989 mit „Monsieur Hire“ als ausgezeichneter Interpret für Simenon-Stoffe erwiesen hatte.

Oder war’s umgekehrt? Hat hier der Star den Regisseur gesucht? Jedenfalls fällt auf, dass in Lecontes „Mai­gret“, der jetzt in unsere Kinos kommt, der massige Leib des Bonvivants Depardieu in fast jeder Einstellung zu sehen ist: ein Kriminalkommissar der besonderen Art, der mit Hut und dickem weitem Mantel schon durch seine monströse Größe wirkt, wobei die Kamera von Yves Angelo ihm im Gegenlicht oft noch eine silbrige Aura verleiht. Der Bonvivant Depardieu besteht als Maigret darauf, seine Fälle jeweils einer bestimmten Weinsorte zuzuordnen und sie statt mit analytischer Gedankenschärfe nur mithilfe seines Einfühlungsvermögens zu lösen.

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… auch bei der Suche nach Details. (Fotos: © Plaion Pictures)

Auf rollentypische Dinge wie dicken Mantel und Hut kann er natürlich nur begrenzt verzichten, doch Leconte, der gemeinsam mit Jérôme Tonnerre auch das Drehbuch schrieb, hat seinen Star schon beim ersten Auftritt seines Markenzeichens beraubt: Ein Besuch bei seinem Hausarzt konfrontiert ihn mit der Tatsache, dass er fortan wohl auf seine Tabakspfeife wird verzichten müssen! Diesen Verlust wird er im weiteren Verlauf unablässig mit großem Unterhaltungswert beklagen. Als Trost bieten Leconte und Tonnerre ihm (und seinem Stammpublikum!) die Gelegenheit zu einem feinen, intelligenten Seitenhieb auf Simenons malenden Landsmann René Magritte: dessen berühmtes Bild „Ceci n’est pas une pipe“, das auf den Unterschied zwischen Ding und Abbild verweist, ist für Depardieu/Maigret nur „ein belgischer Scherz zu unserer Unterhaltung“.

Neben einer so überlebensgroßen Maigret-Figur bleibt wenig Raum für die anderen Rollen, ja sogar für den eigentlichen „Fall“. Der dreht sich um Louise, eine junge Frau aus ärmlichen Verhältnissen, die den Versuch des sozialen Aufstiegs in mondäne Kreise blutig mit dem Leben bezahlen muss. Die darin angelegte verhaltene Sozialkritik, die für Simenon typisch ist, schrumpft in Lecontes Drehbuch erheblich zugunsten mancher flüchtiger Passagen, deren Dialoge auch mal ins politisch Unkorrekte fallen. Die Frauenrollen (Clara Antoons als Louise, Jade Labeste als Betty und Anne Loiret als Madame Maigret) sind recht klein dimensioniert und bleiben überwiegend blass. Einzig die fast 80-jährige Aurore Clément schafft es, als aristokratische Drahtzieherin hinter dem Mordfall, in wenigen Auftritten Superstar Depardieu für Momente etwas die Schau zu stehlen. Dies als eine patriarchalische Intrige von Regisseur und Hauptdarsteller anzusehen ginge sicherlich zu weit, doch es kratzt an der Größe eines ansonsten hoch intelligenten und gelungenen Angebots für die weltweite Gemeinde der Simenon-Verehrer.

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"Wein, Weib und Maigret", UZ vom 31. März 2023



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