Zum Arbeitszeitgesetz

Weimar lässt grüßen

Mit der „Verordnung zum Arbeitszeitgesetz infolge der Covid-19-Epidemie“ hat die Bundesregierung kurz vor den Feiertagen den Unternehmerverbänden ein besonderes großes Geschenk ins Nest gelegt. Der von diesen schon lange gehegte Wunsch, Arbeitszeiten zu verlängern und das Arbeitszeitgesetz massiv auszuhöhlen, wurde endlich erfüllt.
Seit dem 10. April gilt für Beschäftigte in sogenannten „systemrelevanten Berufen“: Arbeiten bis zu 12 Stunden am Tag und 60 Stunden in der Woche. Außerdem wurden für die dort arbeitenden Menschen die Ruhephasen zwischen Feierabend und dem nächsten Schichtbeginn auf nur noch neun Stunden reduziert.

Betroffen von dieser Notverordnung, die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit erlassen wurde, sind Kolleginnen und Kollegen der Lebensmittel-, Medizin-, Pflege-, und Pharmabranche sowie Beschäftigte in Energie- und Wasserversorgungsbetrieben und Behörden der öffentlichen Sicherheit. Eine Zustimmung durch den Bundestag oder den Bundesrat wurde nicht eingeholt. Dies war auch nicht nötig, da bereits am 27. März das Arbeitszeitgesetz entsprechend novelliert wurde.

Durch die Änderung des Paragraphen 14, Absatz 4 wurde hier die parlamentarische Kontrolle ausgehebelt. Das Arbeitsministerium ist nun zeitlich befristet ermächtigt, „in einem außergewöhnlichen Notfall, der bundesweite Auswirkungen hat, bundeseinheitliche Ausnahmen vom Arbeitszeitgesetz zu erlassen“. Reichskanzler Brüning und dessen Notverordnungen am Ende der Weimarer Republik lassen grüßen.

Damals wie heute wurden die Interessen der Lohnabhängigen massiv angegriffen und deren Schutzrechte eingeschränkt. In den frühen 1930er Jahren dienten sogenannte „ökonomische Zwänge“ in Folge der Weltwirtschaftskrise als Vorwand dafür, den arbeitenden Menschen das Fell über die Ohren zu ziehen. Heute wird dies mit der Bekämpfung der Corona-Pandemie begründet. Daher erschließt sich die Verlängerung der Arbeitszeit auf 12 Stunden für LKW-Fahrer, Lagerarbeiter oder Kassierer im Supermarkt als wirksame Virusbekämpfung nur denen, die Hausherr in einem Bundesministerium oder einer übergeordneten Konzernzentrale sind. Wenn man es mit der Pandemie-Bekämpfung wirklich ernst meinen würde, stünde nicht weniger, sondern mehr Arbeits- und Gesundheitsschutz auf der Agenda der politisch Handelnden.

Arbeits- und Gesundheitsschutz ist mehr als regelmäßiges Händewaschen und Abstand halten. Zentrale Bedingungen zum Schutz der eigenen und der Gesundheit anderer sind auch das Einhalten von Ruhezeiten und das Nichtüberschreiten von Höchstarbeitszeiten. Wenn aber gerade diejenigen, die aktuell schon bis zur Erschöpfung schuften, noch länger arbeiten sollen, dann steht dies diesem Ziel diametral entgegen. Was dem Gesundheitsschutz der Kolleginnen und Kollegen wirklich förderlich wäre, wäre mehr Personal. Dies gilt nicht nur in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. So kann die notwendige Arbeit auf mehr Schultern verteilt werden. Diese Forderung von Beschäftigten und Gewerkschaften gab es schon vor der aktuellen Pandemie. Die Bedingungen hierfür sind heute dieselben wie vor der Krise: Keine Notverordnungen, sondern bessere Arbeitsbedingungen und eine angemessene Bezahlung.

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"Weimar lässt grüßen", UZ vom 17. April 2020



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