Knarz. Hannes knarzt. Er kommt so trocken daher, dass es beeindruckt. Wenn man mit ihm spricht ist er knarzig, aber nicht spröde. Im Gegenteil: Schon in seiner Sprechstimme schwingt viel tiefe Wärme mit. Er knarzt, wenn er auf steifen Beinen die Bühne betritt und zu Beginn des Konzertes zwei lange Minuten in aller Ruhe schweigend die Gitarre nachstimmt. Wieso hat dieser Anti-Frohsinn-Typ seit rund 50 Jahren ausverkaufte Konzerte?
„Ich verstehe das auch nicht“, sagte er mir schon vor rund 10 Jahren. „Meine Konzerte sind immer noch ausverkauft, obwohl ich in den Medien schon lange keine Rolle mehr spiele.“
Ich muss ehrlich sagen, ich verstehe das auch nicht. Aber ich habe eine Erklärung. Meine Erklärung: Hans Eckard Wader hat im Laufe der Jahrzehnte eine Vielzahl unterschiedlichster Menschen auf dem richtigen Fuß erwischt. Zuerst 1966 auf der Burg Waldeck, einem Festival, auf dem zu der Zeit erste deutschsprachige Protestsongs, vor allem aber noch Chansons, Balladen, Minne- und Bänkellieder erklangen. Vor einem entsprechenden Publikum, versteht sich. Vor zum Teil unorthodoxen bunten Vögeln, die zum Beispiel Hannes‘ „Tankerkönig“ in ihrem damaligen Lebensgefühl bestärkte. Und die das nicht vergessen haben.
Mitte der 1970er ging er „der Mitte der (norddeutschen) Gesellschaft“ an die Gefühle. Mein damaliger Chef wurde Wader-Fan. In Hamburg und Umgebung hat seine plattdeutsche Platte viele platt (= sprachlos) gemacht. Auf ihr sang er Lieder, die hier alle über 20-Jährigen seit Kindheit kannten. Aber noch nicht von ihm. Wader traf genau den musikalischen Ausdruck, den norddeutsche Knarzer mögen. Die ihm das nicht vergessen haben.
1977 erschien die LP „Arbeiterlieder“. Schon für den Titel des Albums schlugen ihm linke Herzkammern mit Hochdruck entgegen. Und wieder fand Wader die jeweils angemessene Vortragsart für jedes Lied. Zudem wurde er Mitglied einer kleinen linksradikalen Partei, deren Mitglieder hofften, mit ihm an Popularität zu gewinnen. Was mit ihm und einer riesigen Friedensbewegung auch viele Jahre gelang. Was Viele ihm nicht vergessen haben.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Wader in „Zielgruppen“ gedacht hat, aber er traf. Immer neue Gruppen. Die Freunde des Shantys, zum Beispiel. In jeder norddeutschen Stadt gibt es mindestens einen Chor, der „Seemannslieder“ schmettert. Hannes Wader hat deren Musik aus verstaubter Ecke zurück ins rüstige Alter geführt. Das haben sie ihm nicht vergessen. Genauso wenig, wie die Freundinnen und Freunde der Volksmusik.
In Summe ergibt das eine Menge Leute, die Wader in ihren jeweiligen kulturellen Zusammenhängen schätzen gelernt haben. Und sich gern an diese Zeit erinnern. Und deshalb in seine Konzerte gehen. Oder weil sie interessiert sind, wie er sich künstlerisch entwickelt hat.
Ist er noch „unser“ Hannes?
Eine Frage, die viele in einer kleinen linksradikalen Partei lange bewegt hat. Ich weiß die Antwort nicht, ich habe nur wenige Male länger mit ihm geredet. Aus diesen Begegnungen habe ich den Eindruck gewonnen, dass er ein vollkommen aufrichtiger Mensch ist. Und Aufrichtigkeit kann für den einen oder die andere das Gegenteil von Standhaftigkeit sein.
Wer wissen muss, was sein Lehrberuf ist, in welchen Orten er gelebt hat und lebt oder wie oft er verheiratet war, findet alles im Internet. Wer wissen will, wie weit er noch „unser“ Hannes ist, hat die Gelegenheit ihn im kommenden Herbst live zu erleben. Er macht dann den zweiten Teil seiner (ersten?) Abschiedstournee zwischen Husum, Berlin und Idar-Oberstein.
Im Rückblick auf rund 50 Jahre Hannes Wader auf der Bühne kann man einige oder viele seiner Lieder mögen oder auch nicht. Für mich ist seine deutsche Bearbeitung von No Man‘s Land, also „Es ist an der Zeit“, das ultimative Antikriegslied. Man kann als Mitglied einer kleinen linksradikalen Partei von ihm enttäuscht sein oder auch nicht. In jedem Falle hat Hannes Wader als Mensch und Künstler zu seinem 75. Geburtstag eines verdient:
Großen Respekt.
Lasst es ihn wissen!