Zum 13. Präsidenten der Islamischen Republik Iran wurde am vergangenen Freitag der erzkonservative Kleriker Ebrahim Raissi gewählt. Der 60-jährige Zögling des obersten Revolutionsführers Ajatollah Ali Khamenei setzte sich im Wahlgang gegen drei zur Staffage einer scheindemokratischen Wahl verkommene blasse „Gegenkandidaten“ durch. Bezeichnend war, dass noch deutlich vor der offiziellen Bekanntgabe des Ergebnisses Abdolnasser Hemmati, Leiter der Zentralbank des Landes, seinem Kontrahenten gratulierte. Zuvor waren vom Wächterrat, dem letztinstanzlichen Kontrollgremium, nur sieben von 591 Bewerberinnen und Bewerbern zur Wahl zugelassen worden – darunter weder eine weibliche Kandidatin noch ein als aussichtsreich geltender Vertreter des liberaleren Reformflügels innerhalb der herrschenden Clique. Raissi beerbt den seit zwei Amtszeiten amtierenden Architekten des von den USA aufgekündigten Atomabkommens (JCPOA), Hassan Rohani, und wird im August das höchste politische Amt im theokratischen System antreten. Noch 2017 hatte Raissi gegen Rohani verloren.
Interessant erscheint zudem die schwache Wahlbeteiligung, welche seit Jahren als Gradmesser von Zustimmung und Einbindungsfähigkeit des Regimes gilt. In den Analysen der Think-Tanks war von einer Wahlbeteiligung zwischen 30 und 40 Prozent ausgegangen worden. Trotz des staatsmedialen Trommelfeuers, den Aufrufen Khameneis (welcher am Wahltag demonstrativ um 7 Uhr morgens seinen Stimmzettel faltete), der staatlichen Kontrolle zur Stimmabgabe und der Beschwörung der religiösen Stimmabgabepflicht gingen von den 59 Millionen Stimmberechtigten „nur“ 28,6 Millionen an die Urnen. Dies entspricht einem Anteil von 47 Prozent. Trotz der Mobilisierung der konservativen staatstreuen Schichten und der Verlängerung der Öffnungszeiten der Wahllokale bis 2 Uhr Samstagnacht (offiziell aufgrund der Pandemie) ein historisches Debakel. Zum Vergleich: in den Wahlen von 2017 lag die Beteiligung bei 73,1 Prozent. Der Sieger Raissi kann sich somit nur auf eine Legitimation durch 17,8 Millionen Menschen (oder 28,8 Prozent der Wahlberechtigten) berufen. In den sozialen Medien wurde ein aktiver oder passiver Wahlboykott deutlich. Hintergrund ist sowohl die fehlende Wahlalternative auf der Seite der Reformkandidaten als auch die erneute Zurückweisung des in den verarmten Massen der Dörfer und Südteherans beliebten Mahmud Ahmadinedschad sowie die katastrophale wirtschaftliche Lage.
Der Sieg von Raissi soll in den langfristigen Aufstellungen der iranischen Politik ein Zwischenspiel sein, im Hintergrund laufen die Konsultationen zur Nachfolge des greisen und gesundheitlich angeschlagenen Ali Khamenei. Raissi belegt die Pole-Position, auch Khamenei war 1989 Präsident gewesen. Raissi kann auf jahrelange treue Dienste in der Justiz der islamischen Republik verweisen, stammt wie Khamenei aus Maschhad, wurde mit zarten 20 Generalstaatsanwalt der teheranischen Vorstadt Karadsch (2 Millionen Einwohner) und wird seit 1988 – dem Jahr seiner Untaten gegen die demokratischen und linken Kräfte im Lande – als beratender Vertrauter des obersten Führer angesehen. Jedoch: Raissi muss liefern: Er versprach im Wahlkampf einen konsequenten Kampf gegen Korruption und Klientelpolitik sowie Sozialprogramme, zudem überraschte er in den letzten Tagen mit zustimmenden Aussagen zu einem Übereinkommen mit den USA.
2015 entsprach ein US-Dollar noch 32.000 iranischen Rial. 2021 sind es 238.000 Rial. Lebensmittel-, Benzin- und Konsumgüterpreise stoßen die iranische Arbeiterklasse sowie die Mittelschicht in Nöte. Die Revolutionsgarden liegen wie ein Schatten über dem Land und kontrollieren mafiös weite Teile von Politik, Medien, außenpolitischem Engagement und Wirtschaft. Der Ölpreis stieg aufgrund der zu erwartenden Komplikationen in der diplomatischen Kommunikation zwischen Washington und Teheran. Raissi wird den Ausgleich mit den USA und Saudi-Arabien suchen müssen, ob dies mit oder gegen das Hardliner-Establishment funktionieren kann, darf bezweifelt werden. Jedoch, trotz der massiven Proteste von 2009 und der Ausschreitungen von Ende 2019, herrscht aktuell Apathie. Die Tudeh-Partei rief in einem ersten Statement zum Zusammenschluss aller progressiven Kräfte gegen das „iranisch-islamische Regime“ auf. Auch wenn dies zunächst nach Wunschdenken klingt: die Wahl zeigt den unkittbaren Riss zwischen Führung und Beherrschten deutlich.