Zum 10. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs schuf Käthe Kollwitz ihr wohl bekanntestes Werk. Im Auftrag der Sozialistischen Arbeiterjugend aus Leipzig zeichnete sie das Plakat „Nie wieder Krieg!“
Vor 100 Jahren, im Sommer 1924, mobilisierte die damalige Friedensbewegung, gestützt auf die Gewerkschaften, die Arbeiterparteien KPD und SPD, um gegen das Elend des Krieges und dessen Abwälzung auf die Werktätigen zu protestieren. Denn diese hatten nicht nur den Blutzoll zahlen müssen. Der durch Kredite finanzierte Krieg sorgte bei den Rüstungsmonopolen und der Schwerindustrie für satte Gewinne, die ihr auch nach der Niederlage des deutschen Reiches erhalten blieben. Die Massen zahlten: Seit 1914 stiegen die Preise kontinuierlich, um schließlich 1923 in der Hyperinflation das Volksvermögen vollkommen zu entwerten. Zusätzlich wurden die Lasten des „Friedensvertrags“ von Versailles voll auf die Menschen abgewälzt.
1921 hatten mehr als eine halbe Million Menschen im deutschen Reich auf den Kundgebungen des „Nie-wieder-Krieg“-Ausschusses demonstriert. In den Folgejahren kamen deutlich weniger Menschen. Deshalb war das Bemühen groß, den zehnten Jahrestag des Kriegsbeginns zu nutzen. Im Mai 1924 hatte der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) anlässlich einer Völkerbundsitzung im September zum Antikriegstag aufgerufen. Schon vorher kam es zu unterschiedlichen internationalen Kundgebungen. Als Einleitung zu einer europäischen Friedenswoche fand am 6. August eine Gedenkfeier in Paris statt. Der 27. Internationale Bergarbeiterkongress in Prag veranstaltete am gleichen Tag eine Kundgebung „für den Frieden und gegen den Krieg“. Die Delegierten forderten den internationalen Ausschuss einstimmig auf, zum Zeichen des Protestes sobald wie möglich einen eintägigen Generalstreik auf allen Gruben der Welt durchzuführen, um die Regierungen aller Länder von einem neuen Krieg abzuhalten.
Doch auch der deutsche Militarismus und das Monopolkapital nutzten den runden Jahrestag. Die Inflation hatte dafür gesorgt, dass die Löhne ständig gedrückt wurden, was dem Monopolkapital ein ungeheures Wirtschaftswachstum – auch im Vergleich zu den anderen imperialistischen Staaten – beschert hatte. Mit der Währungsreform im November 1923, der Niederlage der Arbeiterregierungen in Thüringen und Sachsen und der Niederschlagung des Hamburger Aufstands konnte auch die innenpolitische Situation beruhigt werden. Auch die Reichswehr hatte ihre Schwächephase überwunden.
Am 3. August fand vor dem Reichstagsgebäude in Berlin der „Gedächtnistag für die Opfer des Weltkrieges“ statt, der auch „Opfertag“ oder „Totensonntag“ genannt wurde. Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD), sämtliche Reichsminister, zahlreiche preußische Minister, Parlamentarier, Generale und Admirale fanden sich auf der Tribüne ein. Ebert gab mit seiner Rede die Linie des deutschen Revanchismus vor: „In tiefem Schmerze trauern wir um die Söhne Deutschlands, die den Soldatentod gestorben sind, damit Deutschland lebe. Im warmen Mitgefühl gedenken wir der Wunden der Hinterbliebenen. In Ehrfurcht neigen wir uns vor den Heldentaten unseres Volkes in Waffen und vor der duldenden Standhaftigkeit der Heimat, vor dem beispiellosen Opfermut und dem fast übermenschlichen Dulden unserer Nation im Kriege. (…) Wir geloben heute, dass daran nicht gerüttelt werden darf, dass wir alle unsere Kraft einsetzen wollen, damit Deutschland den Platz unter den Völkern der Erde wieder einnehmen kann, der ihm gebührt. An diesem Ziele mitzuarbeiten ist die Pflicht eines jeden Deutschen, ist eine Ehrenpflicht gegenüber den Brüdern, die ihr Leben hingegeben haben in der Verteidigung der Heimat, vor allem eine Ehrenpflicht der deutschen Jugend. So soll der Geist der Toten lebend bleiben in uns allen im ganzen deutschen Volk.“
Eberts Berliner Genossen rochen Lunte und riefen die Berliner Arbeiter auf, sich nicht an der Gedenkfeier zu beteiligen, „da sie eine militärisch-nationalistische Aufmachung (!) zeige“. Sie unterließen es aber auch, gegen diese Umtriebe zu demonstrieren. Da die Kundgebung der KPD verboten wurde, nahmen die Kommunisten an der Gedenkfeier teil und sangen während der Schweigeminute die „Internationale“. Bis zu 40 Genossen wurden verhaftet.
Nach dem Verrat der SPD an den Beschlüssen der 2. Internationale, ihrer Zustimmung zum Völkerschlachten, legte sie vor 100 Jahren die Grundlage dafür, dass ihre Minister heute Deutschland wieder „kriegstüchtig“ machen wollen. Sprachlich leicht angepasst geht es immer noch um die „Verteidigung“ der „Heimat“ und der „Freiheit“.
In der sozialdemokratischen „Freien Presse“ formulierten die Redakteure im September 1924: „Die Kriegsgefahr von heute ist eine Folge der Friedensschlüsse von gestern. Seit jeher trug jeder Gewaltfriede den Keim zu neuen Kriegen in sich. Das gilt heute mehr denn je. Denn die letzten Friedensverträge wurden von den Siegern den Besiegten nicht nur diktiert, ohne diese anzuhören, sie regelten auch eine solche Fülle der mannigfachsten Verhältnisse, wie kein Friedensvertrag vorher. Die Sieger, noch verblendet vom Kriegsrausch, aufs äußerste unwissend über die Verhältnisse in den Ländern der Besiegten, vielfach auch getrieben von kurzsichtigster Demagogie, haben ein Werk geschaffen, das weit mehr Gegensätze und Probleme hervorrief, als es aus dem Wege räumte, und daher zu unerträglichen Verhältnissen führte, die dem Sieger nichts nützen, die Besiegten zur Verzweiflung trieben und sogar Differenzen zwischen den Siegern selbst hervorrufen musste. Daher die erschreckende Erscheinung, dass neue Kriegsgefahr jetzt schon wieder auftaucht, lange bevor die schweren Wunden des letzten Krieges vernarbt sind.“
So berechtigt die Kritik am Versailler Vertrag war, so sehr vernebelt das Verschweigen der eigenen Rolle in Vorbereitung und Durchführung des Ersten Weltkriegs die eigene Sicht. Die SPD bewilligte die Kriegskredite, obwohl sie die Eroberungspläne des deutschen Imperialismus kannte. Statt die Propaganda vom Verteidigungskrieg zu entlarven, verbreitete sie diese in der Arbeiterklasse. Statt den imperialistischen Krieg in den Bürgerkrieg gegen den Imperialismus zu verwandeln, überließ die SPD die Arbeiter den Schlachtfeldern.
Nie wieder Krieg!
August 1924 – Der zehnte Jahrestag des Beginns des Weltkrieges und die Friedensbewegung der 1920er Jahre
Das Jahr 1924 war der Höhepunkt der Antikriegsbewegung der 1920er Jahre. Die Menschen spürten den ersten Weltkrieg zehn Jahre nach seinem Beginn alltäglich: Hunderttausende Kriegsversehrte, Waisen, Witwen, die hohen Reparationen, das Wohnungselend, Hunger und Unterernährung erinnerten sie daran. Den Jahrestag und die Friedensbewegung der 1920er dokumentiert eine kleine Ausstellung mit Broschüren, Zitaten und Bildern. Sie zeigt eine vom Krieg gezeichnete Gesellschaft und erzählt vom Umgang der Menschen mit den traumatischen Erfahrungen und von den Schlüssen, die sie daraus zogen.
Eröffnet wird die vom Historiker Reiner Rhefus vorbereitete Ausstellung am 4. August mit einer Lesung „Texte gegen den Krieg“ vom DGB Stadtverband Wuppertal und Arbeit und Leben um 17 Uhr. Ab 14 Uhr kann die Ausstellung besucht werden.
Verteilungsstelle Kunst und Geschichte | Sedanstraße 86/88 | 42281 Wuppertal
Weitere Informationen: uzlinks.de/Antikrieg1924