Ein Comic über die Frau in der Frühzeit

Weibliche Geschichte

Jeder kennt das Klischee vom Frühmenschen: Jäger und Sammler, klar verteilte Geschlechterrollen. Die Männer gehen auf die Jagd, die Frauen bleiben in den Höhlen. Manche Forscher behaupten sogar, daher käme – evolutionär bedingt – die „Tatsache“, dass Frauen häufiger und heftiger Angst vor Spinnen haben. Die lauerten halt in den Höhlen und nicht in den Jagdgründen.

Neue Erkenntnisse aus dem Bereich der Anthropologie setzen sich nur langsam durch, passt das Bild der Frau, die die Höhle sauber hält, ein bisschen Beeren sammelt und ansonsten Kinder wirft, großzieht und auf die Rückkehr des Jägers wartet, doch viel zu gut zur Unterdrückung der Frau. Wen interessiert da schon, dass die Höhlen im Winter viel zu kalt waren, um sie zu bewohnen?

In der Rezeption der Frühgeschichte ist man inzwischen zum Glück davon abgekommen, unsere Vorfahrinnen als sammelnde Heimchen am Herd zu begreifen. Zu verdanken ist das verbesserten Forschungsmethoden – und der Tatsache, dass heute mehr Anthropologinnen zur Frühgeschichte forschen und das Feld nicht mehr allein Männern überlassen ist.

Die österreichische Comic-Künstlerin Ulli Lust hat nun mit „Die Frau als Mensch“ einen Band vorgelegt, in dem sie der Rolle der Frau in der Frühzeit nachgeht. In dem essayistischen Werk geht Lust den verschiedenen Aspekten der Forschung zum frühzeitlichen Leben nach. Unter anderem widmet sie sich überlebenden indigenen Wildbeutekulturen, deren Leben als mögliches Modell für die Menschen der Frühzeit gehandelt wird. Bei dem Kapitel über die Khoisan, einen sogenannten „Buschmenschen“-Stamm aus der Kalahari-Wüste, muss sie dabei auch auf die gezielte Zerstörung solcher Kulturen eingehen. Denn der Staat Botswana hat die Khoisan systematisch vertrieben – trotz anderslautender Gerichtsurteile. Die Wasserstellen der Khoisan wurden verschlossen (angeblich um das Naturreservat Kalahari-Wüste zu schützen – Fracking darf aber stattfinden). Jagen dürfen die Khoisan nicht mehr, die Tiere sollen schließlich geschützt werden – doch sind Safaris gern gesehen, bei denen man alles abknallen kann, was sich bewegt, solange man genug Geld für die Jagdlizenzen hat.

Die Jagd, die nur gemeinschaftlich, also unter Einbeziehung der Frauen, stattfinden konnte, ist aber nur ein Aspekt der Geschichte der Frühzeitmenschen, die Lust den Leserinnen und Lesen näher bringt.

Ulli Lust betont den Aspekt von Empathie und Gemeinschaft für unser Zusammenleben. Dabei greift sie zu Bildern, die jeder von uns kennt: Wer wollte in einem Flugzeug noch nicht ausflippen, weil es eng und laut und unangenehm ist? 99 Prozent von uns tun es nicht. Und ist uns dieses „ruhig bleiben“ evolutionär gegeben oder eine kulturell lange nach der Frühzeit erlernte Verhaltensweise? Aber stimmen nun die Vermutungen, dass die Frühzeit geprägt war von Aggressivität und Konkurrenz? Vermutlich nicht. Ein großes Tier kann nicht allein erlegt werden – gegessen auch nicht. Ohne Zusammenwirken geht nichts.

Um der Stellung der Frau in der frühgeschichtlichen Gesellschaft näher zu kommen, widmet sich Lust an vielen Stellen neuen Erkenntnissen der Forschung. So wurden zum Beispiel die (wenigen) gefundenen Gräber und die darin befindlichen Knochen früher meist nach zwei Kriterien beurteilt: Merkmale wie Größe, Ansätze für Muskeln und so weiter, und Grabbeigaben wie Speere, Schmuck und ähnliches. Mit der bereits feststehenden Meinung über den überlegenen Mann als Bestimmer in der Gesellschaft kamen die Forscher in vielen Fällen zum Schluss, dass es sich bei den Funden um die Überreste von Männern handelt. Dann kam die Möglichkeit der DNA-Testung. Und siehe da, die muskulösen, mit ihren Waffen beerdigten stolzen Jäger waren Frauen.

Besonders interessant ist ein Aspekt, den Ulli Lust für den Einstieg in „Die Frau als Mensch“ gewählt hat. Wer kennt sie nicht, die kleinen, aus Stein gefertigten Darstellungen von Frauen mit dickem Bauch und noch größeren Brüsten? Die Venus von Willendorf ist nur eines der bekanntesten Beispiele. 30.000 Jahre lang gab es keine ikonischen Darstellungen von Männern – dann kam „Christi Geburt“. Seitdem gibt es daran keinen Mangel mehr. Die Scham hält Einzug in die künstlerische Darstellung des Menschen, das gilt vor allem für Frauen. Statuen der Aphrodite zeigen sie beim Baden und dem Versuch, ihre Brüste vor Blicken zu verstecken. Oft ist sie allein unter vielen Statuen von männlichen Figuren. Nicht nur die Geschichte wird von Männern geschrieben, auch die überlieferte Kunst wurde von ihnen gemacht.

Die Tatsache, dass es in der Frühzeit fast ausschließlich Darstellungen von Frauen gab, hat die auf Männlichkeit fixierte Anthropologie lange zu bemerkenswerten Verrenkungen verleitet. So versteifte sich der Kulturphilosoph Constantin Rauer (der auch der Meinung war, wenn Frauen gejagt hätten, hätte das die „Selbstauslöschung des Stammes bedeutet“) noch 2014 bei einem Vortrag auf die steile These, dass die Tatsache, dass es für 100 Darstellungen von Frauen nur eine eines Mannes gibt, nur eins bedeuten kann: Männer waren wichtiger als Frauen.

Und so hat man bei „Die Frau als Mensch“ nicht nur einen Erkenntnisgewinn, sondern auch ziemlich viel zu Schmunzeln, zum Wütendwerden und zum Nachdenken – stellt Ulli Lust doch einige Fragen auch nur, ohne sie zu beantworten.

Am Ende des langen und mit vielen, vielen Fußnoten zu Büchern, Studien und Grabungsberichten versehenen Comics hat man viel gelernt. Und fragt sich mit der Autorin, ob die Gesten, mit denen sich die frühzeitlichen Frauendarstellungen an ihre Brüste fassen, Drohung oder Stolz ausdrücken soll. Beides dürfte konservativen Anthropologen ein Dorn im Auge sein.

Ulli Lust
Die Frau als Mensch
Am Anfang der Geschichte
Reprodukt, 256 Seiten, 29 Euro
Ein zweiter Teil ist für Ende 2026 geplant

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"Weibliche Geschichte", UZ vom 21. März 2025



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