Im Dezember 2023 flog der rechte US-Fernsehjournalist Tucker Carlson nach London und interviewte den im Hochsicherheitsgefängnis unter folterähnlichen Bedingungen festgehaltenen Wikileaks-Gründer Julian Assange. Darüber berichtete in der Bundesrepublik kein Konzern- und Staatsmedium. Am 20. und 21. Februar wird der höchste britische Gerichtshof über Assanges letzten Einspruch gegen seine Auslieferung an die USA verhandeln. Die fordern seine Auslieferung, um ihn für immer einzusperren. Er hat Beweise für Kriegsverbrechen von US-Soldaten in Afghanistan und im Irak veröffentlicht, was ein Verbrechen ist. Da es aber in deutschen Medien Unterdrückung von Presse und Meinungen nur in sogenannten autoritären Staaten, nie aber in liberalen Demokratien gibt, ignorierte man das Gespräch einfach. Keine Erwähnung fand auch, dass sich Carlson nach eigenen Angaben vergeblich um ein Interview mit Wladimir Selenski bemüht hatte.
Umso gewaltiger war die Welle, als Carlson ankündigte, Wladimir Putin zu interviewen. Das geschah am 6. Februar, anschließend kam es in westlichen Leitmedien länderübergreifend zu Wutanfällen. Die Publizistin Petra Erler fragte am 8. Februar in ihrem Blog „Nachrichten einer Leuchtturmwärterin“ angesichts der Hysterie: „Warum führt im Jahr 2024 bereits eine Ankündigung eines Interviews mit Putin zu heller Aufregung? Noch hat es niemand gesehen, aber schon weiß man, was man zu erwarten hat: Russische Desinformation, russische Kriegslügen, verbreitet von einem ultrarechten ‚Verschwörungstheoretiker‘ (der Russiagate immer ablehnte). Man könnte fast meinen, da hat jemand Angst, dass nun das eigene Kriegsnarrativ zerschellt.“ Zuvor hatte sie mit Bezug auf Assange gefragt: „Wo ist das Dauerfeuer der deutschen Medien, um diesen Kollegen zu schützen? Wird Olaf Scholz die Causa Assange mit im Gepäck haben bei seinem Besuch in Washington, beim greisen Biden? Es würde mich überraschen, da unser Kanzler am liebsten schweigt, wenn etwas für die USA peinlich sein könnte.“
Sie wurde nicht überrascht. Scholz verschwendete in Washington kein Wort auf Assange, gab aber vor, was vom Putin-Interview zu halten sei: Es verhöhne „alles, was von Russland an realen Taten in der Ukraine gemacht worden“ sei und erzähle „eine völlig absurde Geschichte über die Ursachen für diesen Krieg“. Denn: „Es gibt eine ganz klare Ursache. Das ist der Wille des russischen Präsidenten und Russlands, sich einen Teil der Ukraine einzuverleiben.“ Schlussfolgerung daher: „Ich will auch dabei helfen, dass wir gemeinsam klarmachen, dass Putin nicht damit rechnen kann, dass unsere Unterstützung für die Ukraine nachlassen wird.“ Also Krieg ohne Ende. Wo so viel Klarheit herrscht, muss das Interview selbst nicht mehr zur Kenntnis genommen werden, schlussfolgerte „Tagesthemen“-Kommentator Demian von Osten am selben Tag und empfahl: „Einfach ignorieren.“
Ignoranz ist bei NATO-Propagandisten wie ihm ein geläufiges Argument. Die wie er von ARD oder ZDF nach Moskau entsandten Korrespondenten haben es immerhin geschafft, dass vom Krieg der Kiewer Putschisten gegen die aufständische Bevölkerung der Ostukraine seit 2014 keiner ihrer Zuschauer oder Hörer Wesentliches erfuhr. Bei den 13.000 Toten, die dieser Krieg bis zum 24. Februar 2022 laut UN-Angaben gekostet hatte, handelte es sich ja auch lediglich um „Prorussen“, also eine zweifelhafte menschliche „Spezies“, um es in der Sprache Selenskis auszudrücken. Ignoranz gegenüber Kriegsursachen eint den Kanzler und seinen medialen Tross seit Langem. Gegenüber Palästinensern ist das Staatsräson. Umso schlimmer für den, der wie Carlson die andere Seite zu Wort kommen lässt. „Einfach ignorieren“ heißt längst in Wirklichkeit: Wegschließen wie Assange. Für immer.